Wohnungs- und Mietensituation in St.Georg

Aus: Der lachende Drache, Nr. 2/2022, S. 4.

Zur Wohnungs- und Mietensituation in St. Georg

Teil 2: Schleichende Umwandlung zur „guten Wohnlage“
Am 13. Dezember 2021 wurde der neue „Mietenspiegel“ von der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) veröffentlicht.[1] Seit 1976 erscheint ein solcher Mietenspiegel im Zwei-Jahres-Rhythmus und regelt aktuell die Mieten von 563.000 frei finanzierten, also nicht (mehr) geförderten Wohnungen. Für alle war ein Schock, dass die Durchschnittsmiete von 8,66 Euro je Quadratmeter (2019) auf 9,29 Euro (2021) angewachsen ist, eine Steigerung von 7,3 %.

Neues Wohnlagenverzeichnis alle zwei Jahre
Was viele Menschen nicht wissen ist, dass mit jedem neuen Mietenspiegel – natürlich auch dem von 2021 – ein aktualisiertes „Wohnlagenverzeichnis“ verbunden ist. Nur anders als die 28seitige, in den Bezirksämtern ausliegende Broschüre zum Mietenspiegel[2] umfasst das Wohnlagenverzeichnis 480 Seiten und ist nur übers Netz aufzurufen.[3] Das aktuelle Wohnlagenverzeichnis erfasst 23.421 so genannte „Blockseiten“. Damit gemeint sind Gebäudezeilen, die meist zwischen zwei Straßen liegen – der Hansaplatz z.B. hat vier Blockseiten. Jede Blockseite wird in die „normale“ oder „gute“ Wohnlage eingestuft, was monatliche Mietunterschiede von 50, 100 und mehr Euro ausmacht, je nach Größe und Ausstattung. Kein Pappenstiel also. Wir hatten in Hamburg ab 1977 zunächst vier Wohnlagen (einfach, normal, gut, sehr gut), bald waren es nur noch drei (einfach, normal, gut) und seit 1986 gibt es nur noch zwei (normal, gut), von sog. teuren „Adresslagen“ einmal abgesehen.

Die Wohnlageneinstufung spielt ihre weithin vernachlässigte Rolle bei der allgemeinen Mietenexplosion. Gab es 2011 noch 15.432 Blockseiten in normaler Wohnlage (66,3 %), waren es 2021 nur noch 15.163 (64,7 %). Dagegen haben die Blockseiten in guter, deutlich teurerer Wohnlage von 7.838 im Jahre 2011 (33,7 %) auf 8.258 in 2021 (35,3 %) zugenommen.[4] Das sind keine Zahlenspielchen, hier handelt es sich jeweils um einige zigtausend Wohnungen. Und das Tempo der Umstufungen vorrangig von normal zu gut nimmt zu: Reichten 2019 für die Auflistung der Um- und Neueinstufungen noch 4 Seiten[5], waren für 2021 ganze 35 Seiten nötig.[6]

Zu den „Berechnungsgrundlagen“ beim Wohnlagenverzeichnis

Bereits 2006 sind wir in St. Georg seitens des Einwohnervereins und der Anti-Gentrifizierungs-Initiative „Spitz pass auf!“ gegen die erstmaligen Hochgruppierungen von normalen in die gute Wohnlage Sturm gelaufen. Protestiert haben wir auch gegen die angeblich wissenschaftlichen Grundlagen für die „Berechnung“ der Einstufung. Erreicht haben wir Änderungen bei den Erhebungsmethoden und einige Rücknahmen von Hochgruppierungen. Doch verbessert hat sich an der problematischen „Formel“ nichts. Die sieht nämlich eine völlige Überbetonung der Bodenpreise bzw. des Bodenrichtwerts (20 %) und des Statusindex (26 %) vor.[7]


„Der Statusindex“, so die offizielle Definition der BSW, „misst die sozio-ökonomische Struktur einer Gebietseinheit“. Das meint, wie viele ärmere bzw. reichere Haushalte auf einer Blockseite leben, wie viele Kinder und wie viele mit und ohne Schulabschluss usw.[8] Wer viele Jahre in einem Haus lebt und feststellen muss, dass links und rechts besser Situierte mit höheren Abschlüssen und weniger Kindern eingezogen sind, lebt dann eben in einer Gegend mit höherem Statusindex…Pech gehabt! Was wir seit knapp 20 Jahren kritisieren, die ausschlaggebenden Bodenpreise und Status-Geld-Faktoren, klingt bei der BSW wie folgt: Es „zeigt sich, dass insgesamt vor allem der Statusindex und der Bodenrichtwert zentrale Indikatoren für die Bewertung einer Wohnlage darstellen. In diesen beiden Indikatoren spiegelt sich (…) die ‚Beliebtheit‘ einer Wohnlage wider.“[9] In Blankenese wohnen eh weitestgehend nur Menschen auf teurem Grund und mit dicken Portemonnaies, da ist nix mehr zu verlieren. In St. Georg aber sorgt diese Sicht seit gut zwei Jahrzehnten für eine gigantische Verdrängung und einen von der Stadt geförderten Bevölkerungswandel.

Weitere „gute“ Wohnlagen in St. Georg
Obwohl der Grünflächenanteil unverändert ist, der Lärm nicht abgenommen hat und die Entfernung zum Hauptbahnhof die selbe geblieben ist, müssen sich die MieterInnen u.a. der Koppel 1-29, der Schmilinskystraße 3-15 und 4-18 und am St. Georgs Kirchhof 19-26 warm anziehen: Sie sind ab sofort in die „gute“ Wohnlage eingestuft worden (siehe die nachfolgende Tabelle[10]). Die HauseigentümerInnen werden jubeln, haben sie doch neben den 7,3 % Mietensteigerung auch noch das „Argument“ der teureren Wohnlage auf ihrer Seite.

Die Verantwortung dafür tragen die GesetzgeberInnen, die die Renditegier und solche Mietensprünge überhaupt erst ermöglichen und der Senat, der diese Entwicklung durch immer zweifelhaftere Mietenerhebungen und Mietenspiegel begünstigt. (Michael Joho)

Daten-Belege auf der Homepage des Einwohnervereins, Rubrik „Wohnungspolitik“: https://ev-stgeorg.de/.

[1] Zum Mietenspiegel siehe die allgemeine Website der BSW unter https://www.hamburg.de/mietenspiegel/.

[2] BSW-Broschüre vom 13.12.2021 unter https://www.hamburg.de/contentblob/13249496/a2706103a82f69a438fa63a3232f2b34/data/d-mietenspiegel-broschuere-2021.pdf.

[3] Wohnlagenverzeichnis 2021 unter https://www.hamburg.de/contentblob/13249502/cfbbaccf3c5b1a5ea4e5754b7c201f13/data/d-wohnlagenverzeichnis-2021.pdf.

[4] Bürgerschafts-Drucksache 22/7002 vom 21.1.2022, Nr. 14, https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/78554/der_hamburger_mietenspiegel_im_fokus.pdf.

[5] „Umstufungen von Blockseiten zum Wohnlagenverzeichnis 2019“, siehe https://www.hamburg.de/contentblob/13442074/6ade1d0fe68e14a1410e3851b25159b2/data/d-um-neueinstufungen-blockseiten-2017-2019.pdf.

[6] „Um- und Neueinstufungen zum Wohnlagenverzeichnis 2021“, siehe https://www.hamburg.de/contentblob/15799756/ba4bcf5ea3f8833ab0d8c68bb9caadd0/data/d-um-und-neueinstufungen-von-blockseiten-zum-wohnlagenverzeichnis-2021.pdf.

[7] Bürgerschafts-Drucksache 21/17503 vom 9.7.2019, Nr. 17, https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/67089/zur_wohnungspolitik_in_hamburg_iii.pdf

[8] BSW: Aktualisierung des Hamburger Wohnlagenverzeichnisses 2017. Bericht vom Mai 2018. S. 7. https://www.hamburg.de/contentblob/11005904/c930a374f69d82939a0351978d63cd91/data/d-wohnlagenverzeichnis-methodenbericht-2017.pdf.

[9] BSW: Aktualisierung des Hamburger Wohnlagenverzeichnisses 2019. Bericht vom April 2020. S. 5. https://www.hamburg.de/contentblob/14026012/4199d29259bc63cb7534ab71c1e559b8/data/d-wohnlagenverzeichnis-methodenbericht-2019.pdf.

[10] Daten zusammengestellt aus: https://www.hamburg.de/wohnlagenverzeichnis/ und https://www.hamburg.de/contentblob/15799756/ba4bcf5ea3f8833ab0d8c68bb9caadd0/data/d-um-und-neueinstufungen-von-blockseiten-zum-wohnlagenverzeichnis-2021.pdf


Aus: Der lachende Drache, Nr. 1/2022, S. 3. 

Zur Wohnungs- und Mietensituation in St. Georg
Teil 1: Was wurde hier eigentlich seit 2011 gebaut?

Am 13. Dezember legte die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) den „Hamburger Mietenspiegel 2021“ vor. Die Überschrift der entsprechenden Pressemeldung lautete „Hamburg setzt Kurs des konsequenten Mieterschutzes fort“.[1] Manche/r Mieter/in wird sich ob dieser Formulierung die Augen gerieben haben. Um Gottes willen, diesen Kurs auch noch fortsetzen? Tatsächlich sind Mieten außerhalb des geförderten Wohnens in den vergangenen zwei Jahren in Hamburg um 7,3 % gestiegen, von 8,66 auf 9,29 Euro je Quadratmeter netto-kalt. Das ist laut Statistik des „Mietervereins zu Hamburg“ die mit Abstand höchste Mietsteigerung seit mehr als einem Vierteljahrhundert und damit auch seit Senatsübernahme durch Olaf Scholz (SPD) 2011.[2] Und diese Form des „konsequenten Mieterschutzes“ soll also auch noch fortgesetzt werden? Weil das alles so toll läuft? Wovon reden die BSW und Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeld?

Wir wollen es genauer wissen und werden in den kommenden Monaten im „Lachenden Drachen“ einen Schwerpunkt setzen, um die Wohnungs- und Mietensituation unter verschiedenen Gesichtspunkten zu beleuchten. Ende April soll es dann auf dem Stadtteilbeirat um genau diesen Komplex gehen, der Einwohnerverein wird dazu einen umfassenden Antrag einbringen. In dieser ersten Folge geht es um die Frage, was in St. Georg eigentlich in den letzten zehn Jahren gebaut wurde.

Viel zu wenig neue Sozialwohnungen

Seit 2011 haben insbesondere Bürgermeister Scholz und die zuständigen Senatorinnen Jutta Blankau und Dorothee Stapelfeldt (auch beide SPD) gebetsmühlenartig den so genannten „Drittelmix“ propagiert. Unter ihrer Ägide sollen jedes Jahr 33,3 % Sozialwohnungen (des 1.Förderwegs), frei finanzierte Wohnungen und Eigentumswohnungen gebaut werden. Die Wohnbau-Ziele sind schon seltsam genug. So haben in Hamburg immerhin 339.000 Haushalte (= 35 % aller Haushalte) Anspruch auf eine Wohnung des 1. Förderweges. Real vorhanden sind aber nur 77.724 dieser Sozialwohnungen (Ende 2020).[3] Müsste das nicht dazu führen, bedeutend mehr Wohnraum über den 1. Förderweg (Einstiegsmiete: 6,80 Euro/qm) entstehen zu lassen, um die riesengroße Lücke wenigstens tendenziell zu schließen?

Aber reichlich frei finanzierte und Eigentumswohnungen

Auch stellt sich die Frage, warum 33,3 % Eigentumswohnungen gebaut werden sollen, zumal die Eigentumsquote in Hamburg nur 23,9 % beträgt? (Stand Ende 2018). Möchte der Senat also, dass mehr Wohnungen für Gut- und Bestverdienende entstehen? Bei gleichzeitiger Vernachlässigung der leistbaren Mietwohnungen? Zu den frei finanzierten Wohnungen ist vielleicht noch anzumerken, dass die Angebotsmieten im nicht geförderten Wohnungssegment in Hamburg laut Forschungsunternehmen „Statista“ im Schnitt bei 11,52 Euro/qm liegen (Stand: 3. Quartal 2021).[4]

Drittelmix in Hamburg niemals erreicht

Doch selbst der Drittelmix ist in Hamburg seit 2011 in keinem einzigen Jahr verwirklicht worden. Im Durchschnitt sind laut Senatsangaben zwischen 2011 und 2020 lediglich 25,56 % im 1. Förderweg entstanden (= 19.631 Wohneinheiten).[5] Drei Viertel des Neubaus dagegen sind teure frei finanzierte und noch teurere Eigentumswohnungen.

Und was ist nun in St. Georg gebaut worden?

In unserem Stadtteil ist leider alles noch viel schlimmer, entgegen allen Beteuerungen aus dem Bezirksamt Hamburg-Mitte. Von den in St. Georg zwischen 2011 und 2020 insgesamt 987 fertig gestellten Neubauwohnungen sind lediglich 190 Wohneinheiten (= 19,25 %) im 1. Förderweg entstanden, also weit weniger als im Hamburger Durchschnitt und noch viel weniger als die angeblich angestrebten 33,3 %. Dagegen wurden 479 Wohneinheiten (= 48,72 %) teure frei finanzierte Neubauwohnungen errichtet sowie 316 noch viel teurere Eigentumswohnungen (= 32,02 %) errichtet. Zur Information: Laut Immobilienportal „Immoscout“ beträgt der Durchschnittspreis für eine angebotene Mietwohnung in Hamburg Anfang 2022 sage und schreibe 14,13 Euro/qm, in St. Georg zurzeit sogar 17,06 Euro/qm.[6] Die Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen gibt das Portal „Homeday“ für das dritte Quartal 2021 in Hamburg mit 4.200 Euro/qm, in St. Georg mit 7.300 Euro/qm an.[7]

Die Zahlen belegen, dass Politik und Verwaltung für St. Georg hinsichtlich der Bautätigkeit schon seit längerem nicht gerade einen Kurs des „konsequenten Mieterschutzes“ und der bezahlbaren Wohnungen fahren. Vielmehr geht es im Hauptbahnhofviertel unverändert um die „Soziale Verdrängung als Leitmotiv“, wie schon 2013 ein Aufsatz im VSA-Buch „Gespaltene Stadt? Soziale Entwicklungen in der Metropole“ überschrieben war.[9] Eigentums- und teure, frei finanzierte Wohnungen werden unterstützt, Sozialwohnungen in einem hohen Maße vernachlässigt.

Die Auseinandersetzung um das „Anknabbern“ des Lohmühlenparks – die vom Bezirk geplante Abtrennung eines Parkstreifens zugunsten eines absehbaren Eigentumswohnungs-Komplexes – ist ein gutes, trauriges Beispiel dafür. Sozialwohnungen werden in Wilhelmsburg und im Hamburger Osten errichtet, die citynahen Viertel sind auf Dauer für eine andere Klientel gedacht. Die Segregation, die soziale Bevölkerungsentmischung, schreitet voran. (Michael Joho)

 

[1] Pressemitteilung der BSW vom 13.12.2021, https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/15689402/2021-12-13-bsw-mietenspiegel/.

[2] Laufende Mietervereins-Aufstellung über die hamburgischen Mietenspiegel seit 1995, https://www.mieterverein-hamburg.de/de/aktuelles/statistiken-wohnen-hamburg/.

[3] Bürgerschafts-Drucksache 22/6523 vom 21.12.2021, Nr. 4,
https://www.buergerschafthh.de/parldok/dokument/78002/hamburger_wohnungspolitik_bestand_und_entwicklung_des_1_und_2_foerderweges_und_des_sogenannten_drittelmixes_in_den_104_stadtteilen.pdf.

[4] Statista-Berechnung vom 26.7.2021, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/971531/umfrage/mietpreise-auf-dem-wohnungsmarkt-in-hamburg/.

[5] Bürgerschafts-Drucksache 22/5066 vom 2.7.2021,
https://www.buergerschafthh.de/parldok/dokument/76470/buendnis_fuer_das_wohnen_maerchenerzaehlungen_und_realitaet.pdf

[6] Laut Immoscout-Datenerhebung von Anfang Januar 2022, https://www.wohnungsboerse.net/mietspiegel-Hamburg/3195.

[7] Laut Homeday-Datenerhebung von Anfang Januar 2022, https://www.homeday.de/de/preisatlas/hamburg/st.+georg?utm_medium=SEM&utm_content=&utm_term=&utm_source=google&utm_campaign=Homeday_Generic_DE-%5BPerformance_Max%5D&gclid=EAIaIQobChMItOyE9-al9QIVRCgYCh1uLwKfEAAYAyAAEgKLXfD_BwE

[8] Bürgerschafts-Drucksache 22/6523 vom 21.12.2021,
https://www.buergerschafthh.de/parldok/dokument/78002/hamburger_wohnungspolitik_bestand_und_entwicklung_des_1_und_2_foerderweges_und_des_sogenannten_drittelmixes_in_den_104_stadtteilen.pdf.

[9] S. den Beitrag auf der Website der Geschichtswerkstatt St. Georg unter
https://gw-stgeorg.de/wpcontent/uploads/2021/05/BuchbeitragSozialeSpaltungStGeorg9-13Final.pdf.