Gegen Mietensteigerung und Verdrängung in St. Georg

Aus: Der lachende Drache, Nr. 3/2022, S. 1 und 3 – 5

Danziger Straße 47-51

Gegen Mietensteigerung und Verdrängung in
St. Georg

Bereits im letzten „Lachenden Drachen“ hatten wir auf die Entwicklung im Haus Danziger Straße 47-51 hingewiesen. Dort ist den 15 Mietparteien bereits im April 2021 vom Bezirksamt angekündigt worden, dass ihre Wohnungen nunmehr in Eigentumswohnungen umgewandelt worden sind und sie noch sieben Jahre Zeit haben, ihre Wohnung selbst zu erwerben, bis sie auf dem ach so freien Markt angeboten wird. Hintergrund ist der unselige § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 Baugesetzbuch, mit dem schon in den letzten Jahren Hunderte von Umwandlungen in verschiedenen Quartieren mit Sozialen Erhaltungsverordnungen durchgesetzt werden konnten. Nun also auch in St. Georg. Zudem ist den vier LadeninhaberInnen im Haus Danziger Straße 47-51 Ende 2021 sang- und klanglos zur Jahresmitte 2022 gekündigt worden. Auch nur eine Rücksprache mit den ihre Existenz verlierenden Kleingewerbetreibenden hat die Eigentümerin A. G. nicht für nötig befunden.

Wir nehmen diesen neuerlichen Verdrängungsskandal zum Anlass, in den kommenden Wochen die höchst angespannte Mieten- und Wohnungssituation in St. Georg durch Aktionen und Veranstaltungen zu beleuchten und unsere Forderungen vorzutragen.

Zur St. Georger Wohnungs- und MietensituationInformations- und Diskussionsveranstaltung des Einwohnervereins mit Stefan Schmalfeldt (Mieterverein zu Hamburg) und VertreterInnen aus Politik und Verwaltung

Donnerstag, 24. März, 19.00 Uhr, Haus der Kirchlichen Dienste, Danziger Straße 64

Gegen die Verdrängung von Läden und MieterInnen!
Kundgebung des Einwohnervereins
Samstag, 26. März, 13.00 Uhr, vor dem Gebäude Danziger Straße 47-51

Die Umwandlung der bezahlbaren Miet- in teure Eigentumswohnungen in der Danziger Straße 47-51 reiht sich in mehrere Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit ein, die den St. GeorgerInnen mit nicht so üppigem Portemonnaie das Leben schwer machen. Wir nennen einige Beispiele:

  • Teure Durchschnittsmiete: Mensch, was war es noch günstig, vor 20, 25 Jahren in St. Georg zu wohnen… Laut Immobilien-Portal „wohnungsboerse.de“ beträgt der aktuelle Angebotspreis bei den Durchschnittsmieten im Hauptbahnhofviertel 17,02 Euro je Quadratmeter, das ist mittlerweile der neunteuerste Wert in Hamburg! Wer kann das noch bezahlen?
  • Unsozialer Mietenspiegel: Auf Hunderte St. Georger Haushalte kommen erhebliche Mietsteigerungen zu, nachdem die Durchschnittsmieten laut neuem Mietenspiegel vom Dezember 2021 gegenüber 2019 um 7,3 % angestiegen sind. Der Mieterverein zu Hamburg rechnet in diesen Wochen mit bis zu 180.000 Hamburger Haushalten, die eine saftige Mietensteigerung erleben werden.

(Cartoons: J. Topp)

  • Sozialer Wohnungsbau unterdurchschnittlich: Der Neubau dringend benötigter Sozialwohnungen des 1. Förderweges ist dramatisch eingebrochen. Im vergangenen Jahr sind in Hamburg nur noch 1.563 dieser Sozialwohnungen fertiggestellt worden, 2020 waren es mit 3.037 Wohneinheiten fast doppelt so viele. Dabei hätte St. Georg ein besonderes Nachholbedürfnis, denn hier lagen auch schon in den vergangenen zehn Jahren die Neubauzahlen im 1. Förderweg beträchtlich unter dem anvisierten Schnitt für Hamburg. Statt des immer wieder propagierten Drittelmixes (jeweils 33,3 % Sozialwohnungen, frei finanzierte und Eigentumswohnungen) sind im Hauptbahnhofviertel zwischen 2011 und 2020 genau 987 Wohnungen errichtet worden, darunter aber nur 190 (= 19,25 %) Sozialwohnungen. Dagegen wurden 316 Eigentumswohnungen (= 32,02 %) neu gebaut (siehe dazu den „Lachenden Drachen“ im Januar 2022).
  • Auslaufende Mietpreisbindungen überdurchschnittlich: Nicht nur, dass in St. Georg weit unterdurchschnittlich bezahlbarer Wohnraum neu entstanden ist, mietpreisgebundener läuft auch noch im überdurchschnittlichen Maße aus. Ende 2020 gab es in St. Georg noch 793 Sozialwohnungen (= 12,5 % des gesamten Wohnungsbestandes). Bis 2026 werden davon 294 Wohnungen (= 37,1 %) aus der Bindung herausfallen, im Hamburger Durchschnitt sind es „nur“ 24,2 %.
  • Umwandlungen trotz Sozialer Erhaltungsverordnung: Der Skandalfall Danziger Straße 47-51 steht gerade erst am Anfang, aber er ist durchaus kein Einzelfall. Insgesamt 72 Mietwohnungen sind im St. Georger Sozialen Erhaltungssatzungs-Gebiet zwischen 2012 und 2021 von Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt worden.
  • Hochstufungen: Mit dem Mietenspiegel 2021 sind auch Hunderte Hamburger Straßenabschnitte („Blockseiten“) von der normalen in die „gute“ Wohnlage angehoben worden. Das bedeutet eine Teuerung von 50, 100 und mehr Euro. In St. Georg hat es zum Jahreswechsel u.a. die MieterInnen der Koppel 1-29, der Rautenbergstraße 7-11, der Schmilinskystraße 3-15 und 4-18 sowie des St. Georgs Kirchhofs 19-26 getroffen. Immerhin, die Drachenbau-Wohngenossenschaft in der Schmilinskystraße wird keine Mieterhöhungen auf der Grundlage der Neueinstufung der Wohnlage vorzunehmen. Ein löbliches Beispiel, aber vermutlich eine Ausnahme, wie erste Mieterhöhungsverlangen aus den genannten Blockseiten nahelegen (s. zu diesem Thema den „Lachenden Drachen“ im Februar 2022).
  • Superteure Mikroapartements: Eine neue „Erfindung“ auf dem Wohnungsmarkt sind die völlig überteuerten möblierten Einzimmer-Wohnungen. Alleine im ersten Quartal 2021 soll es davon 2.156 Angebote in Hamburg gegeben haben. Zu den ersten, bekannt gewordenen Fällen in St. Georg gehörte im März 2019 die famose Firma „Aukando“, die aus einer 100-Quadratmeter-Wohnung in der Bremer Reihe sieben spartanisch eingerichtete Miniapartements zum Quadratmeterpreis von 56 Euro machte. 2016 sind im benachbarten Münzviertel (Schultzweg 2) 353 möblierte Kleinwohnungen, davon 341 Einzimmer-Apartments zwischen 19 und 28 Quadratmetern zum Mietpreis von 670 bis 870 Euro entstanden, von Wissenschaftssenatorin als Studierenden- und Auszubildendenwohnungen eingeweiht…
  • Verkauf der Akelius-Wohnungen an Heimstaden: Welche Auswirkungen dieser Ende letzten Jahres vollzogene internationale Deal für die 3.600 Wohnungen in Hamburg bedeutet, darunter ca. 100 in St. Georg, ist zurzeit noch nicht absehbar.

Aus all diesen Gründen ruft der Einwohnerverein zu einem Aktionsmonat gegen Mietenexplosion, Wohnungsnot und Verdrängung auf. Auf der Stadtteilbeiratssitzung am Mittwoch, den 27. April, 18.30 Uhr, Pausenhalle der Heinrich-Wolgast-Schule, sollen die bis dahin gesammelten Forderungen eingebracht werden. Lasst uns gemeinsam auf der Straße und im Stadtteilbeirat dafür eintreten, die unsozialen Mietsteigerungen zu beenden und dafür zu sorgen, dass wir und unsere NachbarInnen weiterhin in St. Georg wohnen und leben können. (Michael Joho)

Stationen der Gentrifizierung in St. Georg

Nachdem wir in den neunziger Jahren in St. Georg ein stark von der Drogenproblematik gezeichnetes Jahrzehnt bewältigt hatten, erlebten wir zum Jahrzehntwechsel eine massive Veränderung. Baukräne waren dafür das Symbol, drastische Mietsteigerungen und Umwandlungen von hunderten Miet- in teilweise superteure Eigentumswohnungen die Basis für eine gigantische Welle der „Aufwertung“ und Verdrängung. Hier fünf Beispiele, was in diesem Stadtteil aus Profitgier geschieht und dabei von den Behörden viel zu oft hingenommen wenn nicht im Einzelfall gefördert wird.

 

 

Koppel 96/98

Koppel 96/98: Die Stadt steigt in die Gentrifizierung ein (2000)

In gewisser Hinsicht der Einstieg in die von der Stadt geförderte Gentrifizierung war das damalige Schulgebäude in der Koppel 96/98. „Der lachende Drache“ (LD) schrieb in seiner Ausgabe 11/2000 über eine Protestveranstaltung zu den Plänen des Investors Alexander Vallentin-Dallmer: Die Stadt hat „durch das Höchstgebotsverfahren nicht nur ein stadtteilorientiertes, genossenschaftliches Wohnprojekt verhindert, sondern gleichzeitig mit der Kaufsumme von mindestens 6 Millionen DM die im Bereich Lange Reihe anhaltende Aufwertung massiv befördert“. Der Einwohnerverein und die in den nächsten zwei Jahren aktive Anti-Gentrifizierungs-Initiative „Spitz pass auf!“ konnten nicht verhindern, dass hier in einem ehemals städtischen Gebäude teuerste Eigentumswohnungen entstanden, die erstmals die Schallgrenze von 5.500 DM je Quadratmeter überschritten. Und genommen wurde dem Stadtteil auch die stadteigene, stark genutzte Turnhalle an der Langen Reihe 96/98. Wir gedenken dieser Tage der sieben Linden, die im Innenhof des Schulgebäudes am 4. März 2002 gefällt wurden – über halb St. Georg ertönte mit gewaltiger Lautstärke melancholisch das Lied „Mein Freund der Baum“.

 

 

 

Lange Reihe 57

Lange Reihe 57: Per Brandstiftung zu Eigentumswohnungen (2005)

Der härteste Fall einer Vertreibung geschah am 1. März 2005. Mittels Brandbeschleunigern wurde ein Inferno im Haus Lange Reihe 57 entfacht, für dessen Löschung die Feuerwehr einen ganzen Tag benötigte. Es gab zum Glück nur einige Rauchvergiftungen, aber der Brandort durfte nicht mehr betreten werden. Die 14 Mietparteien, überwiegend portugiesische Einwandererfamilien, hatten ihre Bleibe verloren. Die wutentbrannten Mitglieder des Stadtteilbeirats forderten die sofortige Sanierung des Gebäudes und den Wiedereinzug der BewohnerInnen zu den alten, günstigen Mieten. Motto: Brandstiftung darf sich nicht lohnen! Doch die Stadt sah sich nicht einmal in der Lage, das offene Dach des Brandhauses per Ersatzvornahme auch nur notdürftig abzudecken. Trotz anhaltenden Protests u.a. der neu gebildeten BürgerInneninitiative „Ohne Mix is nix!“ gegen die weitere Verdrängung setzten zweieinhalb Jahre später die Sanierungs- und Umbauarbeiten ein und es entstand ein Haus mit lauter Eigentumswohnungen. Die angeblich abbruchreife Ruine wurde von der Firma „Cantina“ für 2,35 Mio. Euro an das Unternehmen „Frank Heimbau“ verkauft, für eine halbe Million mehr als es einige Jahre zuvor erworben worden war. Zehn Jahre nach dem Brandanschlag hatte der Einwohnerverein den damals ermittelnden Richter a.D. Klaus Kaub zu Gast, der sich bitterlich über die mangelnde Tätigkeit der Staatsanwaltschaft beschwerte. Bis heute ist das Verbrechen ungesühnt. Über den vielschichtigen Immobilienkrimi berichtete der LD zuletzt in den Nummern 1 bis 3/2015.

 

 

Danziger Straße 44

Danziger Straße 44: Schikanen mit dem Ziel der Entmietung (2013)

Auch wenn nach mehreren Jahren der Auseinandersetzung und des auch einmal erfolgreichen Widerstandes der MieterInnen Ruhe eingekehrt ist, vergessen wir nicht, was die „Hanseatische Anlagen und Immobilien KG“ (H.A.I. KG) der Familie Ludewig den Menschen angetan hat. 2013 hatte die H.A.I. Kg – sehr witzig! – das Wohnhaus Danziger Straße 44 mit seinen günstigen Mietwohnungen erworben. Von Anbeginn trieb der neue Eigentümer „die Entmietung voran“, lesen wir im LD 4-5/2015. „Sein erklärtes Ziel ist es,, aus unseren kleinen, bezahlbaren Wohnungen große, hochpreisige zu machen – für ein anderes Klientel… Es folgten bis jetzt: weitere Kündigungen, Räumungsklagen, Bepöbelungen, Einschränkungen von Heizung, Wasser und Telefon, ungesicherte Baustellen mit Unmengen Dreck, eine ungenehmigte Zusammenlegung zweier Wohnungen zu einer großen, ewig verzögerte Reparaturen von technischen Defekten im Haus – das übliche Programm. Allerdings, keinerlei Sanierungsmaßnahmen, die dringend notwendig wären…Die aktuelle letzte Attacke war der begonnene Abbruch unserer Schornsteine vor 2 Monaten, also mitten in der Heizperiode und auch während laufender Heizungsanlagen.“

 

 

Brennerstraße 80/82

Brennerstraße 80/82:

Acht Parteien im Doppelhaus Brennerstra0e 80/82 sind es, die aktuell einer so genannten „Verwertungskündigung“ zum Opfer fallen sollen. Die MieterInnen wohnen teilweise schon seit Jahrzehnten hier, zu günstigen Bedingungen. Weil offenbar über lange Zeit nichts getan oder instandgesetzt wurde – wozu VermieterInnen eigentlich verpflichtet sind – und der Neubau in St. Georg wie eine Goldgrube ist, hat die „Eberhardt Wohnungsbau GmbH & Co. KG“ Gutachten anfertigen lassen, wonach „das Haus am Ende seiner baulichen und wirtschaftlichen Nutzungsdauer angekommen ist“, so der Auszug aus einem Schreiben der Verwaltungsgesellschaft im LD 6/2021. Doch das Haus ist durchaus nicht marode und abrissreif, es müsste nach jahrelangem Modern nur endlich aufgefrischt werden. Zu diesem Ergebnis kommt nach unserer Kenntnis auch ein Gutachten des Bezirksamtes. Vor diesem Hintergrund unterstreichen wir die Forderung, das Haus keinesfalls abzureißen sondern es durch den Eigentümer instand setzen zu lassen. Hier können die Behörden auch mal zeigen, dass ihnen die renditeversessenen InvestorInnen nicht auf dem Kopf herumtanzen. (Text und Fotos: Michael Joho)