ANMERKUNGEN zur Evaluation – Anwohner*Innenbefragung in St. Georg
St. Georg, den 15.8.2019
Der Fragebogen erhebt den Anspruch, Informationen von Anwohner*innen zur Aufenthalts- und Lebensqualität im Stadtteil zu evaluieren.
Wie das so ist bei quantitativen Befragungen gibt’s nachher wenig Überraschungen.
Das liegt in der Natur der Sache, meint, wer keine offenen Fragen stellt, erspart sich viel Arbeit bei der Auswertung, gewinnt vermeintliche Objektivität und eine höhere statistische Relevanz; leider geht ihm dabei ein Teil der Wirklichkeit durch die Lappen.
Um Konkret zu werden: Die Frage etwa, ob jemand schon einmal die Polizei verständigt habe, wird in etlichen Fällen sicher mit Ja beantwortet. Das hat aber keine statistische Aussagekraft.
Wer zuvor in einer anderen Straße St. Georgs wohnte, konnte unter anderen Umständen genauso häufig wie jetzt am Hansaplatz die Polizei bei Streitereien und Lärm verständigen. Nur kam der dann aus den Eigentumswohnungen der rücksichtlosen Nachbarn.
Und wie lässt sich herausfinden, „wie es sich in St. Georg als Anwohner*in lebt“, wenn der Fragebogen nicht einmal vorsieht, die aktuell installierte Kameraüberwachung am Hansaplatz explizit zu thematisieren?
Es gibt mehrere Fragekomplexe, die „Störungen“ zu ergründen suchen. Wie kann es sein, dass trotz all dieser Störungen Menschen gern am Hansaplatz wohnen?
Ergibt die Addition von Negativaussagen eine politische Handlungsperspektive jenseits von Ausgrenzung, Überwachung und Kontrolle?
Hat sich durch die Umgestaltung des Platzes die Lebens- und Wohnsituation geändert, vielleicht sogar verbessert?
Kurzum, selbst wenn der oder die Befragte alles mit Bedacht beantwortet, lassen sich dadurch weder Entwicklungen abbilden, noch lassen sich dadurch qualitative Aussagen über die Lebens- und Wohnqualität der jeweiligen Akteure und Anwohner*Innen am Hansaplatz gewinnen. Schachtisch & Schaukel als Gestaltungsperspektive schaffen keine Änderung der grundsätzlichen Probleme. Was aber sind die grundsätzlichen Probleme? Nur ein Hinweis: Es soll Anwohner*Innen geben, denen das Erscheinungsbild der Sexarbeiter*Innen egal ist, die sich aber daran stören, das in gelbe Westen gewandete Ordnungskräfte permanent Personenkontrollen durchführen. Sie selbst würden bestreiten, dabei Racial Profiling zu betreiben. Der Effekt ist entscheidend und politisch erwünscht: Kontrolle, Ausgrenzung, Vertreibung.
Fragen zur „Aufenthalts- und Lebensqualität“ ergeben nur Sinn, wenn ich Veränderungen anstrebe. Da landen wir wieder beim Spielplatz und bei der Blindstelle dieser Evaluierung: Diejenigen, die ohnehin ausgegrenzt werden sollen, sind es schon qua Nichtbefragung.
Handlungsrelevant könnte diese Untersuchung werden, stellte man ihr die Befragung der Sexarbeiter*innen gegenüber. Das setzt methodologisch voraus, Raum für offene Fragen zu schaffen, die imstande sind, Prozesse abzubilden und die sich berührenden und teils konträren Lebenswelten mit ihren je eigenen Erfahrungen und Interessen zu Wort kommen zu lassen.
Harald Heck, Anwohner
UnterzeichnerInnen:
Unterzeichnet von 31 St. Georger*Innen, überwiegend Anwohner*innen am Hansaplatz