Solidarität mit allen Obdachlosen – Wohnungen statt Verdrängung und Ausgrenzung

Demonstration am Samstag, den 17.6.2023.

Beitrag von Michael Joho im Rahmen der Abschlusskundgebung auf dem Hansaplatz.

Seit Ende der achtziger Jahre rankt sich um den Einwohnerverein St. Georg und die sozialen Einrichtungen des Hauptbahnhofviertels der Widerstand gegen die allzu einfachen und damit falschen Vorstellungen der konservativen Kräfte. Und die lauteten – damals wie heute: Man müsse die „randständigen Gruppen“ einfach nur vertreiben, die allzu offensichtlichen Erscheinungen von Armut und Entwurzelung aus dem Blickfeld schaffen, um eine blütenweiße „Visitenkarte Hauptbahnhof“ zu schaffen.

Das Unwort der „Visitenkarte“ ist Mitte der neunziger Jahre unter sozialdemokratischer Senatsführung geboren worden. Es richtete sich damals vor allem gegen die Drogenkonsument:Innen, es meinte ihre Verdrängung vom Hauptbahnhofgelände – faktisch in die benachbarten Straßenzüge. Die Bürgerinnen und die Touristen sollten beim Verlassen der Anlage nicht gleich über obdachlose, bettelnde, arme, anschaffende Menschen stolpern. Die St. Georger Wohnbevölkerung spielte dabei nur eine nachgeordnete Rolle.

Gut zwei Jahrzehnte später ist das Modell der „Visitenkarte“ auf ganz St. Georg – vor allem auf den Hansaplatz – ausgeweitet worden.

  • Alle Sitzbänke sind abgebaut worden, damit sich ja niemand setzen kann, vor allem keine Obdachlosen. Irgendein Abgedrehter schlug sogar vor, den Hansabrunnen zu schleifen, damit sich Menschen nicht auf dessen Stufen niederlassen können.
  • Das Anbringen auch nur einer Schaukel – jawohl, einer Schaukel! – wird rigoros unterbunden.
  • Zweier-, Dreier-, Viererstreifen der Polizei und permanente Personenkontrollen von Alkoholkonsumierenden (natürlich nicht an den Bezahltischen), von anders Gekleideten, Black and People of Color, irgendwie anders Erscheinenden prägen das Bild.
  • Und die jahrelange, schon fast aus dem Alltagsbewusstsein geschwundene Videoüberwachung der Menschen soll jetzt durch den Einsatz „Künstlicher Allianz“ effektiviert werden.

Gemeinsam ist all diesen Punkten, überhaupt dem Konzept „Visitenkarte“, dass es sich gegen Menschen, gegen Betroffene, gegen eh schon an den Rand gedrängte Menschen richtet. Es richtet sich nicht gegen das System, das Armut, Verelendung und Vereinsamung überhaupt erst hervorbringt. Seit Jahren fordern wir z.B. eine niedrigschwellige Anlaufstelle für junge Geflüchtete im Hauptbahnhofumfeld. Nichts ist gekommen, gar nichts. Mit der Folge, dass viele ihren Lebensmittelpunkt genau hier auf und um den Hansaplatz haben, vor dem Hintergrund mieser Unterkünfte und fehlender Arbeits- und Betätigungsmöglichkeiten.

Ein aktueller Konflikt dreht sich u.a. um den Vorplatz des Drob Inn. Obwohl Bezirksamtsleiter Neubauer (SPD) angesichts des Elends der dort in großer Anzahl lagernden DrogenkonsumentInnen – rund drei Viertel davon obdachlos – einen weiteren Konsumraum vorschlägt – ein unbedingt beachtenswerter Vorschlag –, reagiert der hiesige Bürgervereinsvorsitzende Schreiber mit nichts anderem als der Forderung nach Kameras mit Künstlicher Intelligenz. Na wunderbar, mit den durch künstlicher Intelligenz aufgepeppten Videokamers das Drogenelend bekämpfen. Das nenne ich mal echt eine Lösung, die an die Wurzel geht!

Was den Drogenkonsument:innen hilft, das entlastet auch das Hauptbahnhofviertel! Mit dieser Erkenntnis haben wir in den 1990ern ein Jahrzehnt lang Drogenpolitik betrieben. Und mit dafür Sorge getragen, dass ein umfangreiches niedrigschwelliges Drogenhilfesystem geschaffen wurde. Es ist an der Zeit, eine ähnlich starke Kampagne für die Menschen auf der Straße in Gang zu bringen. Auch jetzt wieder heißt es aus unserer Sicht, endlich mehr zu tun für die in St. Georg gestrandeten, verarmten, an den gesellschaftlichen Rand gedrängten Menschen.

Vor allem die unübersehbare Verelendung der Obdachlosen, das vermehrte Aufkommen von bettelnden und hier quasi auf der Straße lebenden Menschen bedarf dringend nachhaltiger Veränderungen, bedarf einer neuen, deutlich erhöhten Qualität an Unterstützung. Das heißt vor allem, dass sich Leistungs- und Hilfsangebote an den individuellen Lebensrealitäten und Bedürfnissen obdachloser Menschen orientieren müssen, weil sie tagtäglich in mehrfacher Hinsicht, z. B. durch ihre Herkunft und Hautfarbe, ihrer Sucht, ihrem Geschlecht und/oder einer Behinderung, von Diskriminierung und Ausgrenzung bedroht sind.

Das zunehmend repressiv-verdrängende Vorgehen in der City lehnen wir dabei eindeutig ab, es verschlimmert die Lage der Betroffenen und belastet zusätzlich die benachbarten Quartiere. Wir brauchen vielmehr eine wirkliche soziale und inklusive Wohnungspolitik, kurzfristig mehr kleine Notübernachtungsstätten und schnellere Schritte in Richtung auf eine Beendigung der Wohn- und Obdachlosigkeit – auch und gerade im Stadtteil St. Georg. Housing first!