Schlagwort-Archive: Verdrängungspolitik

Presseerklärung des Einwohner*innenvereins St. Georg von 1987 e.V. vom 12.09.2024

Zur sozialen Lage im Stadtteil, zu den ordnungs- und sozialpolitischen Maßnahmen am Hauptbahnhof und ihren Auswirkungen auf St. Georg

In den vergangenen zwei, drei Jahren hat sich die soziale Lage in unserem Stadtteil – vor allem das Bild auf den Straßen, Plätzen und Höfen – stark verändert. Drogenkonsum und -handel, vermehrter Alkoholkonsum und aggressives Verhalten, vor allem eine starke Zunahme der Menschen ohne Obdach und ihre Verelendung sorgen in Teilen St. Georgs für immer angespanntere Verhältnisse. Wir sehen diese Erscheinungen vor allem als Ergebnis zunehmender sozialer Verwerfungen, verursacht durch Armut und Entwurzelung, Inflation und fehlenden bezahlbaren Wohnraum. In St. Georg nehmen wir die Entwicklungen aber auch wahr als unmittelbare Auswirkungen der City- und vor allem der Hauptbahnhofpolitik des Senats und des Bezirksamtes Hamburg-Mitte. Mit den „Quatrostreifen“, vielen neuen Überwachungskameras, dem Waffen-, Bettel- und Alkoholverbot soll der Hauptbahnhof wie schon in den 1990er Jahren clean gemacht werden, mit genau den selben absehbaren Auswirkungen auf das benachbarte St. Georg wie damals. Verdrängung ist aber keine Lösung, sondern geht zu Lasten der betroffenen Gruppen wie auch der Menschen in St. Georg.

Der Erwerb des leerstehenden 6.500-Quadratmeter-Bürogebäudes in der Repsoldstraße 27 nahe dem „Drob Inn“ ermöglicht der Stadt, den ordnungspolitischen nun auch sozial- und gesundheitspolitische Maßnahmen folgen zu lassen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Dimension des Gebäudes beinhaltet aber erhebliche Gefahren. Um die riesige Fläche sinnvoll zu füllen, stellte Staatsrat Angerer (Sozialbehörde) im Stadtteilbeirat St. Georg Ende Juli eine Fülle möglicher Nutzungen in Aussicht, die uns in dieser Konzentration und gleich neben dem Drob Inn sozial z.T. nicht kompatibel erscheinen. Zwar sind zusätzliche Notschlafplätze (Tag und Nacht) in Ergänzung bzw. Erweiterung des Angebots vom „NOX“ (Projekt der Jugendhilfe neben/über dem Drob Inn) dringend erforderlich und sollen wohl auch vorrangig eingerichtet werden. Das halten wir für sehr sinnvoll. Im gleichen Haus aber möglicherweise „Lebensplätze für Frauen“, eine EU-Arbeitnehmerpension oder gar einen Trinkraum für Alkoholkonsumierende neben den Drogenhilfe-einrichtungen unterzubringen, führt unweigerlich zu Konflikten und widerspricht allen fachlichen Erfahrungen. Und wenn dieses große Haus mit vielen unterschiedlichen Einrichtungen gefüllt wird, bestünde die Gefahr, dass immer mehr an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Gruppen nach St. Georg gezogen werden. Das steht dem Gedanken der Dezentralisierung von Hilfsangeboten deutlich entgegen, zumal die weitere Gefahr in der Folge besteht, dass Einrichtungen in entfernter gelegenen Stadtteilen aus Kostengründen und weil das Personal gar nicht anders zu rekrutieren ist, geschlossen werden. Wir halten eine so massive Konzentration unterschiedlicher Hilfsangebote einerseits für sozialpolitisch riskant und sehen auch Gefahren für die Wohnstandorte St. Georg und Münzviertel.

Deshalb schlagen wir vor, das Gebäude zu großen Teilen zu nutzen, um das Übel an einer Wurzel zu packen: Die vielen aus der Gesellschaft gefallenen Menschen haben die unterschiedlichsten biografischen Einschläge und Abstürze durchlebt und brauchen entsprechend unterschiedlichste Beratung, Unterstützung, Betreuung und Versorgung. Aber alle brauchen in gleicher Weise, um wieder auf die Füße zu kommen, eine Wohnung.

Warum also nicht das Gebäude nutzen für ein größeres Housing-First-Projekt?! Es sollte unserer Ansicht nach ernsthaft geprüft werden, wie es möglich ist, dass ein großer Teil dieses Bürokomplexes in abgeschlossene Kleinwohnungen für obdachlose Menschen umgebaut werden kann.

 Unsere Positionen und Forderungen:

  1. Der Senat soll Abstand nehmen von seiner dominierenden Verdrängungsstrategie am Hauptbahnhof. Nichts spricht z.B. gegen die Ausgabe von Lebensmitteln am „Gabenzaun“ auf dem Hachmannplatz, die jahrelang im Interesse der Betroffenen geklappt hat.
  2. Die Privatisierung von Flächen auf dem Hachmannplatz, die verstärkte Bestreifung, das Bettel- und das Alkoholverbot auf dem Hauptbahnhof hat für die Betroffenen lediglich zur Folge, dass sie ihren Bedürfnissen an anderer Stelle nachgehen und in die Wohnstraßen, Hinterhöfe und (Spiel-) Plätze St. Georgs umziehen. Das Bettel- und das Alkoholverbot auf dem Hauptbahnhof sind aus unserer Sicht absolut kontraproduktiv.
  3. Mit dem Kauf einer Riesenimmobilie an der Repsoldstraße für geschätzte 10 bis 12 Mio. Euro hat sich der Senat selbst unter Druck gesetzt, das Haus irgendwie vollzukriegen und hier alles zu konzentrieren, was an nötigen neuen Einrichtungen geschaffen oder womöglich von anderswo hierher verlagert werden soll. Dies widerspricht komplett dem über einen langen Zeitraum in den 1990er Jahren erarbeiteten und ausgehandelten Konzept der Dezentralisierung, einem Kompromiss, in dem St. Georg als Hauptbahnhofviertel seiner sozialen Verantwortung gerecht wird, aber vonseiten des Senats zugleich auch dafür Sorge getragen wird, flächendeckende, also dezentrale Einrichtungen und Angebote für hilfsbedürftige Menschen außerhalb des Stadtteils und somit in ganz Hamburg zu schaffen.
  4. Statt einer Mega-Einrichtung mit einer stark erweiterten Angebotspalette und der Ansprache einer etwaig erweiterten Klientel plädieren wir dafür, endlich einen spürbaren Schritt zur Verringerung der Obdachlosigkeit zu unternehmen, zu der sich auch der Senat bis zum Jahre 2030 verpflichtet hat. Wir schlagen vor, dass nach entsprechender Prüfung und sicher nötigem Umbau mindestens die Hälfte der Fläche zu kleinen Wohneinheiten umgestaltet wird, um diese Menschen in eine stabilisierende Situation zu bringen und damit für sie eine dauerhafte Perspektive zu schaffen – jenseits des Elends auf den Straßen. Notwendig ist zudem eine Begleitung dieser Menschen in einer solchen neuen Lebensphase.
  5. Wir bekräftigen die Forderung nach angemessener Beteiligung der Menschen und Vereine aus St. Georg und dem Münzviertel – auf Augenhöhe! – an der weiteren Nutzungsplanung für das Gebäude an der Repsoldstraße.

Presseerklärung des Einwohner*innenvereins St. Georg von 1987 e.V. vom 26.5.2024

Wider die Verdrängung des sozialen Elends von öffentlichen Orten, gegen das Alkoholverbot auf dem Hauptbahnhof und das Bettelverbot in Bahnhöfen und U-Bahnen!
Solche Maßnahmen gehen immer auf Kosten der betroffenen Menschen und des Hauptbahnhofviertels St. Georg!

Immer neue Maßnahmen werden ergriffen, um unliebsame Erscheinungen, soziales Elend und Armut von einigen öffentlichen Orten zu verbannen. Jetzt hat die Hochbahn die strikte Durchsetzung des Bettelverbots an den Bahnhöfen und in der U-Bahn angekündigt. Wir erinnern: In den vergangenen Jahren hatten schon der Abbau nahezu sämtlicher Parkbänke in der City und St. Georg sowie kürzlich das Verbot des „Gabenzaunes“ und des Alkoholkonsums auf dem Hauptbahnhofgelände zu keiner Verbesserung der Lage geführt.

Stattdessen wird nun also auch von der Hochbahn der Kurs verschärft, die Kehrseiten des Reichtums und gesellschaftlicher Verwerfungen zu kaschieren bzw. irgendwohin zu verlagern. Dabei hatte sich der Senat doch verpflichtet, die Überwindung der Obdach- und Wohnungslosigkeit bis zum Jahre 2030 zu erreichen. Doch statt erkennbarer Schritte in dieser Richtung werden die alten Verdrängungsmaßnahmen reaktiviert.

Als St. Georger*innen können wir ganze Arien davon singen, was diese Strategie mit den Betroffenen und unserem Stadtteil macht. Denn hier erleben wir in der jüngsten Vergangenheit – parallel zu den Verdrängungsmaßnahmen am Hauptbahnhof – ein spürbares Anwachsen der Zahl der Obdachlosen und eine ebenso deutliche Zunahme ihrer Verelendung. Verdrängung löst keine Probleme sondern verlagert und verschärft sie nur!

Seit seiner Gründung hat der Einwohner*innenverein St. Georg deshalb u.a. für Fixerräume und ein umfassendes Beratungsangebot im Stadtteil gekämpft. Und wir haben immer betont und appellieren auch weiterhin an den Senat und die Bahnverantwortlichen, den Hauptbahnhof nicht nur als Verkehrsfläche zu betrachten, sondern anzuerkennen, dass er, wie wohl nahezu alle Bahnhöfe der Welt, Aufenthaltsort und bisweilen sogar Lebensmittelpunkt für eine größere Anzahl an den Rand gedrängter Menschen in prekärer Lage ist. Wenn sie hier nicht mehr um eine kleine Spende bitten dürfen, nicht an den Bahnhöfen, nicht in den U-Bahnen, nicht in der City, wo bitteschön sollen sie sich ihren Lebensunterhalt sonst verdienen?

Wir haben eine solche Entwicklung schon in den 1990er Jahren erlebt und immer wieder kritisiert: Die „Visitenkartenpolitik“ des Senats, den Hauptbahnhof mit Razzien und Verboten clean und weiß zu machen, mag zur Entlastung des Hauptbahnhofs beigetragen haben, hat aber wie bei kommunizierenden Röhren gleichzeitig zu einer massiven Verschärfung der Dauerbelastungen in St. Georg geführt. Genauso läuft es in der Gegenwart. Obwohl der Gabenzaun am Rande des Hachmannplatzes niemand wirklich gestört hat, wurde er untersagt – und die Lebensmittelausgabe teilweise ins benachbarte Wohnviertel verlagert. Obwohl Alkoholkonsum und Betteln Passant*innen auf dem Weg zum Zug schlimmstenfalls für einen Moment verunsichert haben, sorgt das mit Polizei und Sicherheitskräften durchgesetzte Verbot nun für eine Verdrängung – nach St. Georg, und dort wiederum für Belastungen in der direkten Nachbarschaft rund um die Uhr.

Wir rufen dazu auf, das Bettelverbot auf den Bahnhöfen und in den U-Bahnen nicht durchzusetzen. Und wünschen uns, dass das Alkverbot auf dem Hauptbahnhofgelände wieder aufgeboben und der Gabenzaun am Hachmannplatz weiter betrieben werden kann.