Unglaublich: Stadtteilbeirat St. Georg aufgelöst
Weil der Stadtteilbeirat St. Georg mit seinen kritischen Themen und Anträgen den im Bezirk Hamburg-Mitte regierenden Parteien SPD/CDU/FDP schon seit längerem nicht mehr passte, haben diese ihn jetzt kurzerhand aufgelöst, ohne Ankündigung, ohne Einbeziehung des Beirats selbst. Dieser Federstrich ist bestens vorbereitet worden, selbst die Oppositionsparteien haben von dem Vorhaben erst am 31. Januar morgens erfahren, abends hat der Hauptausschuss des Bezirks der Auflösung und „Neuausrichtung“ dann mit den Stimmen der „Deutschlandkoalition“ zugestimmt. Während die teilweise seit vielen Jahren aktiven BesucherInnen und Stimmberechtigten des Stadtteilbeirats St. Georgs also mit keiner Silbe von diesem Vorhaben erfuhren, war der Bürgerverein bereits vorher ins Bild gesetzt worden.
Erst jetzt begreifen wir, warum auf der letzten Stadtteilbeiratssitzung am 30. November 2022 (!) zum ersten Mal überhaupt weder VertreterInnen des Bürgervereins oder der SPD zugegen waren. Erst jetzt verstehen wir, warum das Protokoll dieser Sitzung entgegen ausdrücklicher Zusicherung erst viele Wochen nach Fertigstellung, nämlich Anfang Februar, verschickt wurde. Verbunden mit der Ankündigung der leitenden Bezirksamtsangestellten Petra Lill, nun ist Schluss, es kommt was Neues und alle sind zur Mitarbeit eingeladen. Für wie doof halten uns dieser BezirkspolitikerInnen und -mitarbeiterInnen eigentlich?
Fakt ist: Bereits angekündigte Beiratssitzungen – die nächste war für den 22. Februar anberaumt – wurden einfach so abgesagt, ein halbes Jahr lang soll jetzt das „Konzept“ für einen kleineren Beirat (von 18 auf 12 Stimmberechtigte) erarbeitet werden, aber der quasi seit 1979 wirkende Stadtteilbeirat selbst soll sich dazu nicht mehr äußern dürfen. Alles Engagement von dutzenden Menschen der letzten zig-Jahre, alle Beschlüsse der letzten Monate haben die genannten Parteien damit im Orkus versenkt. Mit einer schier unglaublichen Arroganz wird auch noch das kleine, aber von vielen so geschätzte Stück BürgerInnenbeteiligung zertreten.
Wir waren seitens des Einwohnervereins gerade dabei, mit konstruktiven Anträgen die nächste, längst angekündigte Stadtteilbeiratssitzung am 22. Februar vorzubereiten. Dieses Mal wollten wir einbringen, dass es eine kleine Feier zur Einweihung des Inge-Stolten-Weges zwischen Ernst-Merckstraße und Ferdinandstor geben sollte. Wir wollten beantragen, dass der Stadtteilbeirat nach dem Vorbild der Beiräte im Bezirk Nord zu Trägern öffentlicher Belange erklärt wird, was bedeutet, auch zu Bebauungsplänen pflichtmäßig befragt zu werden – wozu wir auch nach dem Umgang der bis heute nicht beantworteten 149 Einsprüche gegen den inzwischen von SPD/CDU/FDP beschlossenen B-Plan St. Georg 43 auch alle Berechtigung sehen. Beim Verfügungsfonds wollten wir ca. 600 Euro für eine Gedenktafel beantragen, um diese anlässlich des 90. Jahrestages der zweiten Bücherverbrennung durch die Nazis am 30. Mai 2023 auf dem ehemaligen Lübeckertorfeld (also wahrscheinlich an einem der heute darauf stehenden HAW-Gebäude) anzubringen. Und schließlich wollten wir anregen, der Katholischen Kirche vorzuschlagen, die Räume bzw. das Gebäude der zum Sommer schließenden Katholischen Schule zu Sozialwohnungen umzugestalten. All das hatten wir vor, all das ist uns durch das unfassbare Vorgehen der Deutschlandkoalition aus der Hand geschlagen worden.
Am 31. Januar haben wir diese Bemühungen einstellen müssen, denn am Vormittag sickerte durch, dass just ein Antrag zur Zerschlagung des Beirats vorgelegt worden war, der noch am selben Tag beschlossen wurde. Wir dokumentieren hier unsere Presseerklärung, die wir – noch unter Schock – am 1. Februar an die Medien richteten. Größere Berichte u.a. in der „Hamburger Morgenpost“ (https://www.mopo.de/hamburg/bezirk-saegt-institution-in-st-georg-ab-anwohner-empoert/) und im „Hamburger Abendblatt“ (https://www.abendblatt.de/hamburg/article237531709/st-georg-bezirk-will-aeltesten-stadtteilbeirat-hamburgs-neu-aufstellen.html) waren die Folge.
Vor diesem Hintergrund lädt der Einwohnerverein alle Interessierten zu einer Stadtteil- und Protestveranstaltung gegen die Auflösung des Stadtteilbeirats für den 22. Februar ein, also für den Zeitpunkt, zu dem der Beirat hätte regulär tagen sollen. Wir müssen besprechen, wie dieser Schlag gegen die BürgerInnenbeteiligung pariert werden kann, und nicht nur in St. Georg.
Nachfolgend dokumentieren wir eine Reihe von Kommentaren und Solidaritätsschreiben, die dem Einwohnerverein – stellvertretend für viele Dutzend Stadtteilbeirats-AkteurInnen der vergangenen Jahre, ja Jahrzehnte zugegangen sind.
Mit Entsetzen und Bestürzung habe ich von der undemokratischen Aussetzung des Stadtteilbeirats erfahren. Über Jahrzehnte habe ich mit Stolz auf diese basisdemokratische Institution geschaut, die ein Stück weit in St. Georg Geschichte geschrieben hat. In einer Zeit der zunehmenden Politikverdrossenheit sollten sich die gewählten Vertreter doch eigentlich glücklich schätzen, wenn BürgerInnen St. Georgs sich für ihren Stadtteil politisch einsetzen. Das gilt es auszuhalten, anstatt in Hinterzimmern ein „unbequemes“ Gremium abzuschaffen, ohne den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, sich dazu äußern zu können. Den gewählten VertreterInnen, die an diesem Akt beteiligt waren, sage ich persönlich: „Schämt Euch!“
Ingo Müller, ehemaliger Kantor der St. Georgskirche
Wenn man den St. Georger*innen eine Umstrukturierung und faktische Kürzung ihres Beirats aufzwingt, obwohl er hamburgweit am längsten besteht und die meisten BesucherInnen hat, wirkt das geradezu grotesk. Dass man Kritik aushalten muss als Politiker*in, liegt in der Natur der Sache. Ohne sie würden wir uns ständig um uns selbst drehen. Die Koalition in Mitte hat aber offenbar nicht verstanden, dass die Menschen selbst gestalten und man sie nicht wie dumme Schafe auf einer abgesteckten und umzäunten Grünfläche einsperren kann.
Ina Morgenroth, Bezirkspolitikerin für DIE LINKE und langjährige ehemalige Bewohnerin St. Georgs
Ich bin empört über die Auflösung des St. Georg Stadtteilbeirates. Dieser basisdemokratische Beirat als Instrument der BürgerInnenbeteiligung von 5 Treffen auf 2 im Jahr zu reduzieren, ist nicht bedarfsgerecht und zeitgemäß, d.h. die Anzahl der Beiratstreffen muss erhöht werden.
Dorothee Schlickewei, LAB-Seniorenbegegnungsstätte
Als schockierend und frustrierend, aber auch als aufschlussreich und desillusionierend empfinden wir die Zerschlagung des Stadtteilbeirats St. Georg durch die SPD/CDU/FDP-Koalition.
Hier wird Bürger*innenbeteiligung, die nicht den Vorstellungen der Regierungsfraktionen und der Bezirksverwaltung entspricht und sich ihrer unmittelbaren Kontrolle entzieht, mit dem nächstbesten Machtmittel abgeschaltet. Das Exempel, das damit offenbar in St. Georg statuiert werden soll, gefährdet auch alle anderen bezirklichen Beteiligungsformate in Hamburg-Mitte: Lokalen Beiräten, die ernsthaft mit der Parteienmehrheit in Konflikt geraten, droht offenbar jederzeit eine „Neuausrichtung“ nach dem Geschmack der Obrigkeit. Damit werden Ansätze einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem Bezirk Hamburg-Mitte und lokalen Akteuren, wie sie in den vergangenen Jahren in einigen Quartieren mühsam erarbeitet wurden, in Frage gestellt.
Bereits 1999 hatte die damalige Koalition aus SPD und CDU viele engagierte Menschen in den Mitte-Beiräten vor den Kopf gestoßen, indem sie die gewachsenen Stadtteilbeiräte durch einen neuen „Zuschnitt“ – Verkleinerung, weniger Stimmen für Bewohner*innen und direkter Zugriff der Bezirkspolitik auf viele Sitze – zerschlug. Für das Engagement der Bewohner*innen von Rothenburgsort war das ein bitterer Rückschlag. Wir hatten gehofft, dass die Bezirkspolitik seither besser gelernt hat, die Beteiligung der Menschen vor Ort als wertvollen Gewinn für die Qualität von Politik und Stadtentwicklung wertzuschätzen. Die willkürliche Zerschlagung der bewährten Beteiligungsstrukturen in St. Georg lässt das Gegenteil befürchten.
Hamburgs Wilder Osten, Stadtteil-Initiative für mehr Lebensqualität in Rothenburgsort
Ich halte es für einen Skandal, dass in einer Nacht- und Nebelaktion
ohne jegliche Diskussion dieses wichtige Diskussionsforum abgeschafft
worden ist. So spontan kam das Aus jedoch nicht. In den „Blättern“ des
Bürgervereins schrieb dessen Vorsitzender Markus Schreiber bereits im
Juli vergangenen Jahres: Das Hauptproblem des Stadtteilbeirates sei,
dass einige linke Mitglieder es wagen, Empfehlungen auszusprechen, die
nicht die Zustimmung der in der Bezirksversammlung tonangebenden
Deutschlandkoalition aus SPD, CDU und FDP (und des Bürgervereins)
finden. Die demokratischen Prinzipien, die man den „Abweichlern“
vorwirft zu missachten, werden durch den Handstreich der auf Initiative
des Bürgervereins tätig gewordenen Deutschlandkoalition selbst mit Füßen
getreten. Mit der angekündigten Verkleinerung und Neuzusammensetzung des
Beirates will man sich offenbar lästige KritikerInnen vom Hals halten.
Bertolt Brecht musste so etwas geahnt haben, als er 1953 schrieb: „Das
Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht
einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“
Mathias Thurm, Stadtteilbeiratsbesucher
Auch die Vertreter*innen der sozialen Einrichtungen sind empört über die Aussetzung des Stadtteilbeirats.
Gerade für die Schnittstelle der Sozialen Arbeit (z.B. vertreten durch ragazza e.V., das Basis Projekt und das Sperrgebiet – für die Sexarbeiter*innen) in den Stadtteil, ist der Beirat ein wichtiges Organ, um in Kommunikation zu gehen, die Bedarfe der stigmatisierten und diskriminierten Zielgruppen aufzuzeigen und für diese einzustehen.
Eine Aussetzung dieses Gremium verschließt diesen Zugang und schließt eine wichtige Tür.
Basis Projekt, Ragazza, Sperrgebiet
Stellen wir uns folgende Nachricht vor: „Völlig überraschend löst der Senat Bezirksversammlung Hamburg-Mitte auf.“
Die Bezirksversammlung sei für viele Bürger:innen nicht mehr attraktiv und nicht effizient. Die Senatspolitik würde immer wieder unsachlich kritisiert. Nicht sachdienliche Wortbeiträge zögen die Sitzungen unerträglich lange hin. Viele fühlten sich dadurch von der Teilnahme an der Kommunalpolitik abgeschreckt. Die Zusammensetzung entspreche nicht ausreichend der Zusammensetzung der Bevölkerung im Bezirk nach Alter, Geschlecht und Herkunft. Der Senat hat darum ein Konzept beauftragt, mit dem Ziel, diese Missstände zu beheben. Das Konzept soll in einigen Monaten der Bürgerschaft und dann in geeigneter Weise, geeigneten Kreisen im Bezirk vorgestellt werden.
Zugegeben: Ein überspitzter Vergleich, obgleich der Senat nach der Hamburgischen Verfassung dazu möglicherweise legitimiert wäre. Die Bezirksversammlung ist durch breite Wahlen sicher anders legitimiert ist, als der Stadtteilbeirat. Dennoch ist auch er nach einem demokratischen Verfahren zusammengesetzt. Seine Quasi-Auflösung – ohne jegliche vorherige Information, geschweige denn Beteiligung im Stadtteil – ist ein schwerer, undemokratischer Affront gegen die vielen, ehrenamtlich Engagierten im Beirat und darüber hinaus, der nicht nur bekannte Kritiker:innen der Bezirkskoalition empört. Möge diese Überspitzung die Eine oder den Anderen der Verantwortlichen zum Überdenken ihres Handelns veranlassen…
Christian Diesener, Stadtteilbeiratsbesucher
Hey, liebe Nachbarinnen und Nachbarn, was ist da oben auf der Geest bei euch in St. Georg mit eurem Demokratieverständnis los? Mit empörtem Erstaunen müssen wir der öffentlichen Presse entnehmen, dass ihr ratzfatz ohne vorherige Ankündigung, geschweige denn ohne eine gemeinsame Aussprache untereinander – einen der Eckpfeiler unseres bundesrepublikanisches Demokratieverständnisses – euren Stadtteilbeirat aufgelöst bekommen habt. Das ist völlig uncool und wir hoffen, dass ihr in gemeinsamer Aussprache – auf gleicher Augenhöhe untereinander – die undemokratische Auflösung eures Beirats zurückweist und gemeinsam beratschlagt, wie ihr euren Stadtbeirat weiter lebendig haltet. Wir setzen auf euch und behalten euch weiter im Blick.
Stadteilinitiative Münzviertel
Der Förderpreis zur Schwächung demokratischer Strukturen geht an die VertreterInnen von SPD, CDU und FDP im Hauptausschuss der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte.
Gerade in diesen Zeiten, in denen es vermehrt Kräfte gibt, die demokratische Strukturen schwächen und zerstören wollen, ist ein Gremium wie der Stadtteilbeirat mit seiner aktiven BürgerInnenbeteiligung äußerst wichtig.
„Über Diskussion, Bewertung und Entwicklung einzelner Handlungsschritte soll der Stadtteil durch das Wissen und die Erfahrung der Bürgerinnen und Bürger mitgestaltet werden“ (Präambel der gültigen Geschäftsordnung des Stadtteilbeirat St. Georg vom 27.1. + 30.11.2016). Und nun wird dieses Gremium – gegründet 1979 – aufgelöst und ohne Mitwirkung der aktiven BürgerInnen, ohne deren Wissen und Erfahrung, soll ein Konzept für eine „Neuausrichtung“ erarbeitet werden.
Weil der Beirat die Mehrheitsverhältnisse im Bezirk nicht akzeptiert und immer wieder in Frage stellt? („Blätter aus St. Georg“ 7/2022).
Weil es im Stadtteilbeirat eine „Gruppierung“ gibt, die „ihre Positionen im City-Ausschuss bzw. der Bezirksversammlung durchsetzen möchte“? (Herr Schreiber ebd.).
Heißt das, die Entscheidungen werden nach parteipolitischen Kriterien getroffen – und nicht sachorientiert zum Wohl der BürgerInnen und/oder Gewerbetreibenden?
In meiner grenzenlosen Naivität einer Frau, die nie einer Partei angehörte, wünsche ich mir, dass Positionen zur Gentrifizierung, zur Wohnungs- und Verkehrspolitik usw. das Ergebnis eigenen Denkens sind und nicht des Gehorsams der Partei gegenüber.
„Habe Mut, Dich Deines Verstandes zu bedienen!“ (Kant)
Stärken Sie das bestehende demokratische Gremium Stadtteilbeirat und scheuen Sie nicht die Auseinandersetzung!
Liane Lieske, Anwohnerin
Stadtteilbeirat mit neuer „Ausrichtung“? Seit Jahrzehnten ist die Ausrichtung klar, dachte ich jedenfalls. Warum bedarf es jetzt einer neuen???
St. Georg ist ein Stadtteil mit den unterschiedlichsten, starken Persönlichkeiten …unangepasster als in manch anderem, würde ich sagen. Da werden die Für und Wider dann auch mal heftiger diskutiert. Beide Seiten sollten, unter Erwachsenen, doch aber damit klarkommen können, meine ich. Noch dazu mit gesprächsführender Moderation.
Ein Gremium, diverser und jünger, war zu jeder Beiratswahl ein Thema. Der freiwillige Nachwuchs ist aber etwas spärlich. Zwingen kann man allerdings auch mit einer Neuausrichtung niemanden.
Einzig … eine Verbesserung der bisherigen Ausrichtung wäre schön: Die Beschlüsse aus den Versammlungen sind ernstgemeinte Bewohner*innen-Anliegen. Sie sollten schon mehr Beachtung und Berücksichtigung im Bezirksamt finden.
Eine notwendige Neuausrichtung und die angeführten Gründe dafür leuchten mir allerdings nicht ein und ich frage mich, was das eigentlich werden soll? Eine komplette Aussetzung des Stadtteilbeirats St. Georg bis zum Sommer, mit ungewissem Ausgang, ist ein absolutes Unding.
Jana Topp, Stadtteilbeiratsbesucherin
Eine ganz perfide Taktik: man glänzt durch Abwesenheit beim Stadtteilbeirat, um ein paar Wochen später behaupten zu können, er sei nicht mehr repräsentativ! So geschehen bei der letzten Sitzung des Beirats Ende November, wo weder Vertreter des Bürgervereins St.Georg noch SPD-Mitglieder zugegen waren – was sonst immer der Fall war.
„Viel Kraft, Zeit und Auseinandersetzung werden in sehr kleinteilige oder sehr globale Themen investiert.“ – heißt es in der Drucksache 22-3516 des Bezirksamts. Was das wohl bedeuten soll? Kleinteilig: „nur“ auf den Stadtteil St.Georg bezogen? Sehr global: wenn etwa das Thema Klimawandel auch im Beirat auf der Tagesordnung steht, und diskutiert wird, ob und inwiefern St.Georg damit zu tun hat?
Jetzt kündigt das Bezirksamt Mitte an, der Stadtteilbeirat müsse ganz neu aufgestellt werden. Die bereits anberaumte Sitzung am 22. Februar findet nicht statt, frühestens im Sommer soll es irgendwie weitergehen. Mit maximal 2 Sitzungen jährlich, anstatt wie früher 10, und zuletzt 5. Zu befürchten ist, dass der Beirat nicht nur geschwächt, sondern komplett abgewickelt werden soll. Schon erstaunlich, wie man BürgerInnen-Beteiligung einfach so schrittweise abschaffen kann.
Ulrich Gehner, Mitglied im Stadtteilbeirat und des Runden BürgerInnentisches Hansaplatz
Als Wissenschaftler*innen, die im Bereich der Sozialen Arbeit seit vielen Jahren zu den Themen Quartiersentwicklung, Gemeinwesenarbeit, Theorie und Praxis einer demokratischen, inklusiven Stadtgesellschaft forschen und lehren, können wir den Umgang mit dem Stadtteilbeirat St. Georg in keiner Weise nachvollziehen. Das Engagement in den Stadtteilen zu fördern und erfreut zu sein, wenn Menschen sich in solchen Kontexten engagieren, sollte ein Anliegen der Politik sein. Und so haben wir die Politik im Bezirk Mitte bislang verstanden, genau das wird in vielen offiziellen Veröffentlichungen zur sozialen Stadtentwicklung und zur Bürger*innenbeteiligung ausdrücklich und zu Recht betont. Die Auflösung des Stadtteilbeirats und das ohne jegliche Diskussion ist das Gegenteil von dem, was der Bezirk, die Stadtentwicklungsbehörde und auch die Bürgerschaft an vielen Stellen immer wieder als Ziel formuliert hat.
Wir sind nicht nur beruflich in diesem Feld tätig, wir sind als Professor* innen der Hochschule für angewandte Wissenschaften auch Nachbarinnen in St. Georg. Die gute, und das bedeutet eben auch partizipative Entwicklung des Stadtteils liegt uns am Herzen. Der Stadtteil ist immer wieder Bezugspunkt, auch in unserer Lehre und für unsere Studierenden. Die Position des Bezirks ist gerade in diesem Kontext nicht vermittelbar.
Wir möchten Sie dringend bitten, ihre Position zu überdenken und die weiterarbeiten Stadtteilbeirats zu ermöglichen.
Prof. Dr. Sabine Stövesand und Prof. Dr. Simon Güntner, Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW)
Der Beirat St. Georg ist keine Spaß-Bude!
Es trifft zu, dass eine Reihe von Beiratsbesuchern wegen ihrer speziellen persönlichen Anliegen nur ein- oder zweimal zu den Beiratssitzungen kommen. Sie kommen dann leider nicht mehr regelmäßig wieder. Trotzdem wird der älteste Hamburger Beirat von 40 bis 70 Menschen besucht. Zu wichtigen Themen auch schon mal über 100. Allen stimmberechtigen Mitgliedern und BesucherInnen im Plenum geht es um – den Stadtteil betreffende – Themen: Informationen, Hinweise, Kritik und Wünsche nach Veränderungen. Man nennt dies Bürger:innenbeteiligung. Alle Anliegen werden ernsthaft, kritisch-konstruktiv und tatsächlich manchmal mit erhobener Stimme vorgetragen. Emotionen sind zulässig, wenn es z. B. um den Abriss eines Wohnhauses (Brennerstr. 80/82), die Kündigung der vier Geschäfte in der Danziger Straße geht. Und dort auch um die Umwandlung von 15 Miet- in Eigentumswohnungen.
Der ständige Vorwurf des SPD-besetzten Bürgervereins-Vorstandes, die vorgetragenen Anliegen seien nur parteipolitisch und von den Linken getrieben, treffen zu, wenn die vorgetragenen Probleme und Konflikte durch Beschlüsse, Verordnungen und Gesetze von CDU und SPD (z. B. Mietgesetze auf Bundesebene), SPD und Grüne (z. B. Wohnungsbau auf Bürgerschaftsebene) und SPD, CDU und FDP (z.B. aktuelle Auflösung des Beirates St. Georg auf Bezirksebene) verursacht und/oder zumindest akzeptiert und geduldet werden. So hat sich die Fraktion der Grünen jetzt im Hauptausschuss zu der Vorlage des Bezirksamtes zur Auflösung des bisherigen Beirates unverständlicherweise nur der Stimme enthalten. Und damit akzeptiert, dass „der Beirat in verändertem Format mit nur 2 jährlichen Sitzungen tagen darf (Zitat vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Oliver Sträter im Abendblatt).
Und sie sagen frech die Unwahrheit…
Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer (SPD) berichtet im Hauptausschuss des Bezirkes vom 31. Januar über die „schlimme Stimmung in den Beiratssitzungen“, ohne je selbst dabei gewesen zu sein. Dies sei „ein abschreckendes Thema und man sagt: dort geht man nicht hin.“ Herr Neubauer weiter (Originalzitat): „Wenn in dem Beirat offensichtlich ein solches Diskussionsklima herrscht, dass hier im Haus (Anm.: Bezirksamt) die Leute reihenweise darum gebeten haben, von dieser Aufgabe entbunden zu werden…“. Damit gemeint sein kann nur die/der Regionalbeauftragte, die/der die Sitzungen des Beirates begleitet und für die gegenseitige Kommunikation zwischen Beirat, Verwaltung und Politik verantwortlich ist. Im Abendblatt-Artikel berichtet Oliver Sträter auch: „drei bezirkliche Vertreter hätten deshalb auch schon aufgegeben“. Dies wegen einer angeblich „die interessierten Teilnehmer erschreckenden Diskussionskultur“. Im Beirat dafür verantwortlich seien die Linken, so der langjährige Beiratskritiker Markus Schreiber (u.a. SPD-Bürgerschaftsabgeordneter, Vorsitzender Bürgerverein St. Georg und Bewohner einer Eigentumswohnung am Hansaplatz).
„Gleichlautende Kritik zum Beirat sei ihm von mehreren St. Georger:innen auch schon zugetragen worden“, sagt Clemens Willenbrock (Grüne) im Hauptausschuss. Dies obgleich er – wie auch seine offiziell benannte Vertreterin Urta Manjowk – als sogar stimmberechtigtes Mitglied des Beirats seit Jahren gar nicht an den Sitzungen teilgenommen hat!
Hörensagen!
Eine schlimme Form der Wahrheitsfindung. Ich empfinde dies als böse Verleumdung und Herabsetzung derjenigen, die sich seit Jahren ehrenamtlich für Belange in unserem Stadtteil einsetzen. Sehr häufig sogar mit Erfolg! Wenn wir Herrn Neubauer im Hauptausschuss glauben, „er könne keine Kollegin hinschicken, die nicht mit einer gewissen Robustheit ausgestattet ist“, stellt sich mir die Frage, warum selbst die bisherige („für den Beirat tatsächlich nebenamtlich tätige“) Fachamtsleiterin (F2-Führungskraft im FA Sozialraummanagement eine solche angeblich erforderliche „Resilienz“ nicht aufweist. Oder stört einfach nur, dass das Handeln oder Nichthandeln von Verwaltung und Politik durch engagierte Bürger:innen ständig und immer wieder hinterfragt und kritisiert wird?
Michael Schwarz, langjährig aktiv im Stadtteilbeirat
Den Stadtteilbeirat in St. Georg nach über 30 Jahren in seiner jetzigen Form aufzulösen, ohne die beteiligten Akteure zu informieren, geschweige denn mit ihnen zu diskutieren, ob -und wenn ja – warum er aufgelöst werden soll, ist empörend. Eine „Neuausrichtung“ anzukündigen, ohne die Mitglieder des Stadtteilbeirats über die Gründe zu informieren, sogar die bereits terminierte Stadtteilbeiratssitzung im Februar abzusagen, in der eine Auseinandersetzung möglich gewesen wäre, ist ein Schlag ins Gesicht aller Ehrenamtlichen, die sich zum Teil jahrzehntelang für die Belange der St. Georgerinnen und St. Georger eingesetzt haben.
Jutta Gritti, Stadtteilbeiratsbesucherin
Amputation des Stadtteilbeirats ohne Narkose
BezirkspolitikerInnen der SPD, CDU und FDP taten es, weil sie es tun konnten. Dieser rein machtpolitische Übermut der „Deutschlandkoalition“ in Hamburg-Mitte wird sich in das „Stadtteilgedächtnis“ einbrennen und dort einen hässlichen Brandfleck hinterlassen, wo früher mal die „Bürgerbeteiligung“ verortet war. Obwohl bereits versucht worden war uns „ungehobelte“ St. Georger Bürger durch die Einführung von Netiquette-Regeln politisch handzahm zu dressieren und zu narkotisieren, war die „Deutschlandkoalition“ mit ihrem Werk wohl noch nicht zufrieden und biss im Machtrausch zu. Möglicherweise wird sich diese Amputation als politischer „Kunstfehler“ herausstellen…
Andreas Geick, Besucher des Stadtteilbeirats
Wow,
als Delegierte der Sozialpädagogischen Initiative vertrete ich im Stadtteilbeirat eine große Anzahl an Organisationen in St. Georg die oft für die Menschen ihre Stimme erheben müssen, die nicht zur Normal- Bevölkerung des Stadtteils zählen. Häufig war der Beirat der einzige Ort, an dem diese Stimme auch öffentlich gehört werden konnte.
Ja, der Ton dort ist manchmal rau, und mehrfach wurde ich auch öffentlich von Menschen dafür beschimpft, dass ich meine Arbeit mache, engagiert mache.
Es ist schwer vorstellbar, dass „unsere“ politischen Vertreter jetzt entscheiden können welche Meinung und welcher Stil ihnen bei so einem Gremium passend erscheint.
Die Definitionsmacht wie ein Stadtteilbeirat zu agieren und funktionieren hat mit einem Handstreich zu bestimmen, hat viel mit Machtgehabe aber nichts mit demokratischer Entscheidungskultur zu tun. Dieses Verhalten ist despektierlich. Es ist respektlos gegenüber Allen, die sich als „gleichberechtigt“ für die Belange in diesem Stadtteil engagieren.
Gudrun Greb, Mitglied des Stadtteilbeirats
Machen wir uns nichts vor. Wir erleiden gerade eine Zeitenwende. Nach einer Epoche, die auf Dialog, Verständigung und dem Ausloten von Kompromissen setzte, erleben wir seit einigen Monaten, wie die Diplomatie durch Waffen ersetzt wird als gäbe es weder ein Gestern noch ein Morgen.
Dabei scheint es für die Entscheidungsträger keine Rolle mehr zu spielen, ob signifikante Teile der Gesellschaft einer anderen Meinung sind. Unablässig dreht sich diese Spirale der Eskalation, Dämonisierung und Polarisierung. Pazifismus, Kooperation, das Ausloten von gemeinsamen Interessen sind out. Stattdessen will man klare Kante zeigen und die eigene Perspektive als Maß des Handelns durchsetzen. Es ist eine neue geradezu missionarische Sehnsucht nach Eindeutigkeit. Wir sind die Guten! Dort ist der Böse. Hier die Demokraten, dort die Verschwörer, Schwurbler und Putinversteher. Die letzten Entscheidungen des „freien Westens“ für eine gnadenlose, kriegsvorbereitende Aufrüstung offenbaren die Gewaltbereitschaft dieser neuen Geisteshaltung.
Ich finde das beängstigend, aber ich vermute auch, dass die mangelnde Empathie auf den politischen Entscheidungsebenen für die Ansichten der Bevölkerung nicht nur im Großen der Bundes- und Weltpolitik, sondern inzwischen auch im Kleinen eines kommunalen Quartiers wie St. Georg angekommen ist. Oder wie kann man das sonst verstehen, wenn gewählte Volksvertreter die seit vielen Jahren engagierten BürgerInnen nicht mit einbeziehen bei den Entscheidungen über den Fortbestand des von ihnen besuchten Gremiums? Sicher könnte und sollte man auch diesen Beirat verbessern, doch nicht auf eine solch autoritäre Art und Weise.
Gewiss, die gewählte Politik hat dieses Entscheidungsrecht, wenn auch inzwischen durch immer weniger Stimmen legitimiert. Aber müsste sie nicht genau das sensibilisieren für die Stimmungen an der Basis und die Gefahr immer weiter zunehmender Politikverdrossenheit? Wo bleibt die Ausrichtung unserer Politik auf Verständigung um des gesellschaftlichen Friedens willen?
Vielleicht ist es ja der neue Geist aus dem Außenministerium, der nun überall beginnt Einzug zu halten. Wir werden nicht mehr gefragt, Im Großen nicht, ob wir denn im Krieg sein wollen und auch nicht im Kleinen, wenn es darum geht, ein begehrtes Bürgergremium umzugestalten.
Doch wohin soll das führen? Ein wenig kann man das inzwischen nachlesen. Nach jüngsten Erhebungen zum Jahreswechsel nimmt das Vertrauen der Bürger- und Bürgerinnen in die Politik abermals dramatisch ab. Beispielhaft verliert die Bundesregierung zum Jahreswechsel 2021/22 weitere 22% an Zustimmung und kommt nun auf 34 % Vertrauensbonus. Bei den politischen Parteien soll das Vertrauen um weitere 7% auf 17% zurückgegangen sein. [1]
Müsste das nicht ein politischer Weckruf sein, wenn die überwiegende Mehrheit einer demokratischen Gesellschaft ihr Vertrauen in die politische Elite derart verloren hat? Müsste man da nicht mit allen Mitteln gegensteuern? Müsste man nicht ein Moratorium beschließen und fortan jede große und kleine Entscheidung mit BürgerInneninteresse erst einmal öffentlich diskutieren bevor man entscheidet? Sollten nicht Beteiligung und Dialog zukünftig an die erste Stelle gesetzt werden, damit Vertrauen und politische Legitimität wieder wachsen können?
Oder wohin wird aus Sicht der Politik diese Entwicklung wohl führen? Leisten wir uns in Zukunft ein gut bezahltes politisches Theater ohne interessierte Zuschauer? Und was wird aus denen, die damit nicht einverstanden sind? Früher hatten wir noch Terroristen, inzwischen warnt der Verfassungsschutz vor den so genannten Systemfeinden, vor Menschen, die sich offenbar zunehmend von diesem Gesellschaftssystem nicht mehr vertreten sehen. Aber dieses Phänomen ist doch nicht vom Himmel gefallen!
Manchmal frage ich mich inzwischen im Angesicht einer so sehr von sich selbst als gut und richtig überzeugten Politik, ob wir uns schon gen Notstandsgesetzgebung bewegen, sollte einmal ihr Machterhalt infrage gestellt sein. Noch ist das nur eine Sorgenphantasie, aber es ist schon so viel Undenkbares geschehen in der letzten Zeit.
Unser parlamentarisches System braucht Mitwirkung und mehrheitliche Identifikation. Das ist der Weg! Eine stille Kündigung wäre sein Ende. Für das dann drohende Szenario bräuchten wir nur in die Geschichte zu schauen.
Antje Schellner, Anwohnerin, und Kay Kraack, ehemaliger Pastor und Stadtteilbeiratsbesucher
Der Einwohnerverein St. Georg lädt ein:
Protest gegen die Auflösung und Perspektiven des Stadtteilbeirats St. Georg |
[1] RTL/ntv-Trendbarometer Dezember 2022