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Vorschläge für die Neuausrichtung des Stadtteilbeirat St. Georg
Vorschläge für die Neuausrichtung des Stadtteilbeirat St. Georg
St. Georg, den 5.9.2023
Seit einem dreiviertel Jahr gibt es keinen Stadtteilbeirat mehr. Viele Monate, in denen sich St. Georgs Beteiligungsgremium nicht äußern konnte, weder zur überschwappenden Videoobservierung mit KI-(Künstlicher Inztelligenz-)Verstärkung auf dem Hansaplatz noch zum drohenden Alkoholkonsumverbot auf dem Hauptbahnhof mit den damit verbundenen Verdrängungen in den Stadtteil hinein noch gar dazu, dass der vor einem Jahr einbenannte Inge-Stolten-Weg noch immer keine Beschilderung hat. Ein dreiviertel Jahr Totalverlust an demokratischer Beteiligung von unten.
Und warum? Weil die Deutschlandkoalition aus SPD, CDU und FDP Ende Januar 2023 beschlossen hatte, den durch seine kritischen Diskussionen und Anträge Arbeit machenden, überhaupt nervenden, ältesten und bestbesuchten Stadtteilbeirat Hamburgs einfach so auszusetzen, quasi abzuschalten. Und ihn, wie es euphemistisch immer wieder heißt, „neu auszurichten“. Immer klarer wird auf den Veranstaltungen des Bezirksamtes, dass die BürgerInnenbeteiligung zurückgefahren und der Kreis der TeilnehmerInnen nicht erweitert, sondern vielmehr ausgetauscht werden soll. Das kritische Publikum soll gezielt so behandelt werden, dass es zum Teil von selbst schon die Nase voll hat und wegbleibt. Und klar wird auch, dass kritische Stimmen möglichst leise gehalten werden. Zum wiederholten Mal weigerte sich jüngst die mit der „Moderation“ beauftragte, sich unabhängig gebende Lawaetz-Stiftung, kritische Einschätzungen und Widerworte zur Entwicklung der Diskussion (wie das nachfolgend weiter unten aufgenommene Statement) über den Beiratsverteiler zu verschicken. Petra Lill, verantworliche Umsetzerin der Interessen der Deutschlandkoalition und eine der Personen aus der Bezirksamtsleitung, möchte einfach nicht die Diskussion „belasten“, lies, die Kritik an ihrem Kurs allzu laut werden lassen.
Das ganze Verfahren ist insofern nicht nur eine Stadtteilpetitesse, sondern dürfte auch die anderen Stadtteilbeiräte zumindest des Bezirks Hamburg-Mitte interessieren. Denn von Anfang an wurde propagiert, dass in St. Georg ein „Modell“ entwickelt wird, dass auch für die anderen Mitte-Beiräte angewandt werden soll. Also bitte, Aufmerksamkeit für das, was jetzt schon mal dem St. Georger Beirat zugemutet wird – worüber in Bälde abschließend der City-Ausschuss des Bezirks berät.
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Sehr geehrte Frau Diekmann,
ich bitte um Weiterleitung der nachfolgenden Zeilen und des Anhangs an den Stadtteilbeiratsverteiler. Transparenz und Kritik in der anhaltenden Auseinandersetzung um den Stadtteilbeirat scheinen mir unabdingbar.
Am Donnerstag, den 10. August, hatte das Bezirksamt Hamburg-Mitte, namentlich Petra Lill, zum einmaligen Treffen der so genannten „Resonanzgruppe“ eingeladen. Damit waren die bisherigen offiziellen Stadtteilbeiratsmitglieder gemeint – ein Zugeständnis aufgrund des Vorwurfs, der alte Beirat sei mit einem Federstrich sang- und klanglos aufgelöst worden. Jetzt durfte die anwesenden Haupt- und StellvertreterInnen des Beirats vorab zur Kenntnis nehmen, was da für den „neu ausgerichteten“ Stadtteilbeirat eigentlich vorgesehen ist. Ich fasse das aus meiner Sicht mal so zusammen: Es droht, wie zu befürchten war, ein nachhaltiger Abbau des bisherigen, sowieso schon dünnen BürgerInnen- Beteiligungsgrades. Das den TeilnehmerInnen dieser Zusammenkunft vorgelegte Konzept ist den anhängenden „Vorschlägen“ zu entnehmen.
Im Kern erst einmal so viel:
* Die zukünftigen fünf, von der bezirklichen Regionalbeauftragten (Frau Lill) und der Geschäftsstelle (Lawaetz) begleiteten Beiratssitzungen sollen in Zukunft jeweils 110 bis maximal 120 Minuten dauern. Es soll einen festen Ablauf geben, pro Sitzung nur ein (Haupt-) Thema, das wiederum fachlich eingeleitet, dann in Kleingruppen und anschließend im Plenum beraten wird. Vorbereitete Anträge soll es nicht mehr geben – die mir namentlich nicht bekannte, auf Kritik nicht eingehende Lawatz-„Moderatorin“ verstieg sich sogar dazu, Anträge überhaupt infrage zu stellen, schließlich säßen doch alle zusammen, um Gemeinsames zu entwickeln…
* Terminturnus und Ort für die fünf Zusammenkünfte sollen wechseln.
* Möglicherweise soll es statt (?) der Beiratssitzung auch mal einen „Mikroquartiersworkshop“, Stadtteilrundgänge, einen „Sommerbeirat“ o. ä. geben.
* Diese Sitzungen, nein: das jeweilige Thema soll nach einem bestimmten Schema unter Einbeziehung von Interessierten vorbereitet werden.
* Zu „selbstorganisierte Sitzungen und/oder AGs zu bestimmten Themen“ lädt die Geschäftsstelle ein.
* Der Aufbau einer Beirats-Website und Social-Media-Werbung soll aus dem Verfügungsfonds bezahlt werden, offenbar ebenso die Anschaffung bzw. Miete von Gerätschaften für hybride Sitzungen.
Die bei dieser Zusammenkunft geäußerte, deutlich vorgetragene Kritik an diesem „Konzept“ lautet in aller Kürze:
* Eine faktische Halbierung der Diskussionszeit für den Beirat kommt unter keinen Umständen infrage.
* Eine Beschränkung auf ein (Haupt-) Thema pro Sitzung ist inakzeptabel. Das würde konsequent zu Ende gedacht heißen, pro Jahr nur noch fünf Themen zu diskutieren. Ein völliges NoGo.
* Anträge muss es auch in Zukunft geben, und zwar zu allen Themen, die im Stadtteil virulent sind bzw. zu denen Menschen. Initiativen oder wer auch immer Vorschläge und Anträge einbringen möchten.
* Den Terminturnus und den Ort dauernd zu wechseln ist kontraproduktiv und würde eher zu weniger BesucherInnen führen.
* Selbstorganisierte Initiativen und Arbeitsgruppen hat es immer schon gegeben, erinnert sei beispielhaft nur an die Gruppe, die sich erfolgreich um die Turnhalle in der Rostocker Straße kümmerte. Ansonsten sind alle Initiativen, die an den Beirat herangetragen werden, in diesem Sinne Selbstorganisiertes und also völlig legitim.
* Die unzulängliche Infrastruktur des Beirats – beispielsweise die seit Jahren nicht mehr ins Netz eingestellten Protokolle – soll nicht aus dem Verfügungsfonds finanziert werden. Der ist nämlich für andere Zwecke, insbesondere für kleine Stadtteilprojekte geschaffen und dafür auch über die Jahre intensiv genutzt worden. Wenn der Bezirk BürgerInnenbeteiligung ernst meint, dann muss er auch für die nötige Infrastruktur sorgen. Ganz abgesehen davon, dass er mehrheitlich die Beteiligung der St. GeorgerInnen schon vor einigen Jahren von zehn auf fünf Sitzungen reduziert hat. Noch weniger geht gar nicht.
Die zweieinhalbstündige Debatte am besagten 10. August, die langen Ein- und Ausleitungen der Bezirksamtsvertreterin und das Agieren der Moderation machten sicher nicht nur aus meiner Sicht deutlich, dass es bei der „Neuausrichtung“ vor allem darum geht, den Stadtteilbeirat einzuhegen und seine dem Bezirk immer wieder Arbeit machenden Anträge einzudämmen, also für weniger Initiativen und Diskussionen zu sorgen und gerne auch mehr „selbstorganisierte“ Zusammentreffen zu organisieren. Auffällig war für meine Ohren, wie oft Kleingruppen, Sitzungsvorbereitung und Selbstorganisiertes anklangen, obwohl es doch genau so viel (besser: genau so wenig) Geld geben soll, wie im Jahre 2022 – und mit der betreffenden Summe waren bis zum faktischen Aussetzen der Beiratsengagements gerade einmal die fünf (allerdings längeren) Beiratssitzungen finanziert worden. Wie also soll dieses vermeintliche Mehr an AG’s etc. dann bezahlt werden? Durch eine weitere Reduzierung der Beiratssitzungen?
Selbst bei diesem Treffen mit doch recht wenigen TeilnehmerInnen gab es den „Einsatz“ von Karteikarten und „Kleingruppen“. Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass mit diesen Mitteln und Methoden Zeit bewusst vergeudet, Diskussionen und Schwerpunkte zerredet und eine Debatte samt Beschlussfassung verhindert oder zumindest erschwert werden sollen. Hunderte Karteikarten auf den drei „Workshops“ bedeuten, dass immer irgendjemand irgendeinen Punkt angemerkt hat. So begründete Frau Lill die angeblich nötigen Änderungen im Beirat damit, dass diese auf Karteikarten bei den „Workshops“ so formuliert worden seien – dass es für bestimmte Punkte viel mehr Karteikarten mit andersgefäbtem Inhalt gab, das erwähnte sie bezeichnenderweise nicht. Und dass Kleingruppen mehr Diskussion im kleinen Kreis ermöglichen, das ist ja eine Binsenweisheit; dass mit dem gezielten Einsatz dieses Formats aber auch eine größere, einheitliche, zugespitzte Debatte und Beschlussfassung unterlaufen werden kann, das ist die andere Wahrheit. Und dies alles vor dem Hintergrund, dass in Zukunft auf den paar Beiratssitzungen ja nur noch halb so viel Zeit zur Verfügung stehen soll. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang noch, dass auf den drei Workshops zusammen etwa so viele TeilnehmerInnen zugegen waren, wie auf jeder gut besuchten Beiratssitzung!
Für Donnerstag, den 31. August, lädt der Bezirk nun für 19.00 Uhr in die Paula zu einer allgemeinen „Infoveranstaltung“ ein. „Hier wird eine Zusammenfassung aus dem Prozess der Neuausrichtung vorgestellt, im Anschluss geht es in den Austausch und die Diskussion der Ergebnisse.“ Der gleiche Ablauf, das gleiche Spiel.
Michael Joho
Einwohnerverein St. Georg von 1987 e.V.
—–Original-Nachricht—–
Betreff: Vorbereitung- Infoveranstaltung am 31.08.23 zur Neuausrichtung des Stadtteilbeirates St. Georg
Datum: 2023-08-28T17:53:47+0200
Von: „St. Georg | Lawaetz-Stiftung“ <st.georg@lawaetz.de>
An: „St. Georg | Lawaetz-Stiftung“ <st.georg@lawaetz.de>
Liebe Mitglieder und Mitwirkende des Stadtteilbeirates St. Georg,
sehr geehrte Damen und Herren,
zur Vorbereitung der Infoveranstaltung am 31.08.2023 übersenden wir Ihnen in der Anlage die „Vorschläge für die Neuausrichtung des Stadtteilbeirat St. Georg“
Die Grundlage für die Erarbeitung der Vorschläge (Anlage: Punkt 2.) sind die Nennungen bei den Veranstaltungen/Workshops (Anlage: Punkt 3.) sowie die benannten Ziele der Neuausrichtung (Anlage: Punkt 1.).
Ebenfalls wurden die Hinweise der Resonanzgruppe mitaufgeführt.
Wir werden in der Infoveranstaltung auf die Punkte eingehen, aber nicht in der hier dargestellten Ausführlichkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Stahl
Soziale Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung
JOHANN DANIEL LAWAETZ-STIFTUNG
Gemeinnützige Stiftung des bürgerlichen Rechts
Geschäftsführender Vorstand: Jörg Lindner, Peer Gillner, Gundula Zierott
Neumühlen 16-20, 22763 Hamburg
Telefon + 49 (0) 40 – 39 99 36 – 0
Die Lawaetz-Stiftung ist eine unabhängige, gemeinwohlorientierte Akteurin für die Gestaltung einer sozial gerechten, zukunftsfähigen Gesellschaft.
Kultur in St. Georg | September 2023 – Januar 2024
Mehr Informationen zu den einzelnen Veranstaltungen unter www.gw-stgeorg.de.
PROTEST gegen Laden-LEERSTAND am Fr/30.06.23
Solidarität mit allen Obdachlosen – Wohnungen statt Verdrängung und Ausgrenzung
Demonstration am Samstag, den 17.6.2023.
Beitrag von Michael Joho im Rahmen der Abschlusskundgebung auf dem Hansaplatz.
Seit Ende der achtziger Jahre rankt sich um den Einwohnerverein St. Georg und die sozialen Einrichtungen des Hauptbahnhofviertels der Widerstand gegen die allzu einfachen und damit falschen Vorstellungen der konservativen Kräfte. Und die lauteten – damals wie heute: Man müsse die „randständigen Gruppen“ einfach nur vertreiben, die allzu offensichtlichen Erscheinungen von Armut und Entwurzelung aus dem Blickfeld schaffen, um eine blütenweiße „Visitenkarte Hauptbahnhof“ zu schaffen.
Das Unwort der „Visitenkarte“ ist Mitte der neunziger Jahre unter sozialdemokratischer Senatsführung geboren worden. Es richtete sich damals vor allem gegen die Drogenkonsument:Innen, es meinte ihre Verdrängung vom Hauptbahnhofgelände – faktisch in die benachbarten Straßenzüge. Die Bürgerinnen und die Touristen sollten beim Verlassen der Anlage nicht gleich über obdachlose, bettelnde, arme, anschaffende Menschen stolpern. Die St. Georger Wohnbevölkerung spielte dabei nur eine nachgeordnete Rolle.
Gut zwei Jahrzehnte später ist das Modell der „Visitenkarte“ auf ganz St. Georg – vor allem auf den Hansaplatz – ausgeweitet worden.
- Alle Sitzbänke sind abgebaut worden, damit sich ja niemand setzen kann, vor allem keine Obdachlosen. Irgendein Abgedrehter schlug sogar vor, den Hansabrunnen zu schleifen, damit sich Menschen nicht auf dessen Stufen niederlassen können.
- Das Anbringen auch nur einer Schaukel – jawohl, einer Schaukel! – wird rigoros unterbunden.
- Zweier-, Dreier-, Viererstreifen der Polizei und permanente Personenkontrollen von Alkoholkonsumierenden (natürlich nicht an den Bezahltischen), von anders Gekleideten, Black and People of Color, irgendwie anders Erscheinenden prägen das Bild.
- Und die jahrelange, schon fast aus dem Alltagsbewusstsein geschwundene Videoüberwachung der Menschen soll jetzt durch den Einsatz „Künstlicher Allianz“ effektiviert werden.
Gemeinsam ist all diesen Punkten, überhaupt dem Konzept „Visitenkarte“, dass es sich gegen Menschen, gegen Betroffene, gegen eh schon an den Rand gedrängte Menschen richtet. Es richtet sich nicht gegen das System, das Armut, Verelendung und Vereinsamung überhaupt erst hervorbringt. Seit Jahren fordern wir z.B. eine niedrigschwellige Anlaufstelle für junge Geflüchtete im Hauptbahnhofumfeld. Nichts ist gekommen, gar nichts. Mit der Folge, dass viele ihren Lebensmittelpunkt genau hier auf und um den Hansaplatz haben, vor dem Hintergrund mieser Unterkünfte und fehlender Arbeits- und Betätigungsmöglichkeiten.
Ein aktueller Konflikt dreht sich u.a. um den Vorplatz des Drob Inn. Obwohl Bezirksamtsleiter Neubauer (SPD) angesichts des Elends der dort in großer Anzahl lagernden DrogenkonsumentInnen – rund drei Viertel davon obdachlos – einen weiteren Konsumraum vorschlägt – ein unbedingt beachtenswerter Vorschlag –, reagiert der hiesige Bürgervereinsvorsitzende Schreiber mit nichts anderem als der Forderung nach Kameras mit Künstlicher Intelligenz. Na wunderbar, mit den durch künstlicher Intelligenz aufgepeppten Videokamers das Drogenelend bekämpfen. Das nenne ich mal echt eine Lösung, die an die Wurzel geht!
Was den Drogenkonsument:innen hilft, das entlastet auch das Hauptbahnhofviertel! Mit dieser Erkenntnis haben wir in den 1990ern ein Jahrzehnt lang Drogenpolitik betrieben. Und mit dafür Sorge getragen, dass ein umfangreiches niedrigschwelliges Drogenhilfesystem geschaffen wurde. Es ist an der Zeit, eine ähnlich starke Kampagne für die Menschen auf der Straße in Gang zu bringen. Auch jetzt wieder heißt es aus unserer Sicht, endlich mehr zu tun für die in St. Georg gestrandeten, verarmten, an den gesellschaftlichen Rand gedrängten Menschen.
Vor allem die unübersehbare Verelendung der Obdachlosen, das vermehrte Aufkommen von bettelnden und hier quasi auf der Straße lebenden Menschen bedarf dringend nachhaltiger Veränderungen, bedarf einer neuen, deutlich erhöhten Qualität an Unterstützung. Das heißt vor allem, dass sich Leistungs- und Hilfsangebote an den individuellen Lebensrealitäten und Bedürfnissen obdachloser Menschen orientieren müssen, weil sie tagtäglich in mehrfacher Hinsicht, z. B. durch ihre Herkunft und Hautfarbe, ihrer Sucht, ihrem Geschlecht und/oder einer Behinderung, von Diskriminierung und Ausgrenzung bedroht sind.
Das zunehmend repressiv-verdrängende Vorgehen in der City lehnen wir dabei eindeutig ab, es verschlimmert die Lage der Betroffenen und belastet zusätzlich die benachbarten Quartiere. Wir brauchen vielmehr eine wirkliche soziale und inklusive Wohnungspolitik, kurzfristig mehr kleine Notübernachtungsstätten und schnellere Schritte in Richtung auf eine Beendigung der Wohn- und Obdachlosigkeit – auch und gerade im Stadtteil St. Georg. Housing first!
Rede auf der Obdachlosigkeit-Demo von Joscha Metzger am 15.04.2023
Hallo und Herzlich Willkommen im Hamburger Bahnhofsviertel St. Georg.
Wie in vermutlich fast allen Hauptbahnhofvierteln dieser Welt konzentrieren sich in St. Georg die Problemlagen einer sozial gespaltenen Stadt. Armut, Elend, Drogenkonsum, Prostitution und Obdachlosigkeit treten hier ebenso in Erscheinung wie teure Geschäfte, Luxusimmobilien und neoliberale und autoritäre Politikansätze, die den Hauptbahnhof als „Visitenkarte“ der Stadt präsentieren wollen.
Der Kapitaldruck auf dem Stadtteil und daraus folgende Gentrifizierung sind hier ebenso tagtäglich zu spüren, wie polizeiliche Kontrolle und der Versuch, den Stadtteil durch behördliche Repression „sauber“ zu halten.
Als Einwohner*innenverein St. Georg setzen wir uns seit den 1980er Jahren für eine Politik ein, die soziale Lösungen für soziale Probleme sucht.
Spannungen, die sich aus den vielfältigen Widersprüchen einer kapitalistischen und polarisierten Stadt ergeben, können nur durch sozialen Ausgleich, durch eine Politik auf Augenhöhe abgefedert werden. Repression und Verdrängung erreichen nichts anderes, als eine räumliche Verschiebung der Problemlagen und erzeugen Trauer und Wut bei allen Beteiligten.
Wir schließen uns daher voll und ganz der Forderung an: Anstelle einer Aufrüstung der Polizei brauchen wir eine gemeinwohlorientierte Sozialarbeit. Sozialer gesellschaftlicher Ausgleich statt Repression!
Als Einwohner*innen in St. Georg befinden wir uns seit Jahrzehnten im Auge des Orkans des Immobilienkapitals.
Waren die Mieten hier im Stadtteil in den 1990er Jahren noch bezahlbar, ist die Wohnungssuche heute ein Alptraum geworden. Viele unserer Nachbar*innen haben Angst vor der nächsten Mieterhöhung, weil sie dazu führen wird, die Wohnung zu verlieren.
Für manche droht dann ganz konkrete Wohnungslosigkeit. Andere werden sich ganz woanders in der Stadt umgucken müssen, denn hier – in ihrem Lebensumfeld – werden sie keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden.
Verdrängung von Obdachlosen, Angst vor dem Wohnungsverlust und horrend steigende Mieten sind alles Erscheinungen desselben Problems: In unserer Gesellschaft wird Wohnen als Kapitalanlage gehandelt, Wohnraum über den Markt vermittelt.
Wir sagen: Das muss ein Ende haben. Wohnen ist eine Sache der Daseinsversorgung. Wir müssen endlich übergehen zu einer Vergesellschaftung der Wohnungsversorgung.
In diesem Sinne fordern wir:
- Eine ernsthaft soziale Wohnungspolitik, die alle Mittel in Bewegung setzt, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen
- Die Ausweisung von Flächen für Notübernachtungen und Zelten sowie die Öffnung von leerstehendem Wohnraum für Menschen in Situation der Wohnungs- und Obdachlosigkeit – auch und gerade hier im Stadtteil St. Georg
- Praktische Konzepte für eine Beendigung der Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030. Housing First statt Repression und Verdrängung!
Und schließlich fordern wir als Einwohner*innenverein – so wie es auch von vielen anderen Stadtteilinitiativen Hamburgs gefordert wird –:
Die Ermöglichung von Stadtteildemokratie, Partizipation und Selbstverwaltung, damit wir als Menschen vor Ort über unsere Bedürfnisse und Bedarfe selbst bestimmen und dafür sorgen können, dass alle das bekommen, was sie zu einem guten Leben brauchen.
Hamburg Journal und NDR-Hörfunk Beitrag zur Protestaktion wider die Beiratsauflösung
EV-Stadtteilversammlung zur Beiratsauflösung am 22. Februar
Stellungnahme des Netzwerks Hamburger Stadtteilbeiräte zur Auflösung des Stadtteilbeirats
Kandidaten abgelehnt und Tagungsrecht entzogen
Mit großem Befremden hat das Netzwerk Hamburger Stadtteilbeiräte die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen den politischen Gremien und den Stadtteilbeiräten in
Wilhelmsburg und St. Georg zur Kenntnis genommen, die auch in Artikeln der Hamburger
Morgenpost (2.2.23) und des Hamburger Abendblattes (3.2.) Berücksichtigung fanden.
Beiräte erwachsen in ihrer Geschichte aus Förderprogrammen des Bundes oder der FHH.
Im Laufe der Förderprogramme übernehmen sie eine wichtige vermittelnde Funktion in der Umsetzung der Programminhalte und schaffen gleichzeitig eine Basis für die Kommunikation innerhalb der Stadtteile.
Dieser Prozess führt fast ausnahmslos dazu, dass sich die Beiräte in ihrem Selbstverständnis zu einem zentralen Organ der stadtteilinternen Meinungsbildung entwickeln und vor Ort ein hohes Maß an Kontinuität in der vor allem ehrenamtlichen Mitarbeit generieren.
Menschen aus den Quartieren erkennen, dass gerade in dieser Organisationsform eine
Mitgestaltung der Stadtteilentwicklung möglich ist und schließen sich den Beiräten an.
Darüber hinaus sind die Teilnehmenden Seismographen oder auch Ohr am Quartier und
transportieren Inhalte, die von Menschen artikuliert werden, die sich nicht in eine solche
Struktur einfügen möchten, in den Beirat.
Im Verlauf der Förderperioden werden die Stadtteilbeiräte immer vertrauter mit den
komplizierten Aushandlungsprozessen zwischen Politik, Verwaltung und Quartier und
gewinnen darin zusehends Gewicht und Selbstbewusstsein. Dies führt dazu, dass sie zu einer zunehmend unabhängigen Institution werden, sich als Bürgervertretungsgremium verstehen und entsprechend auftreten.
In den allermeisten Beiräten gibt es für eine stimmberechtigte Mitgliedschaft inzwischen
keine Wahlvorgänge mehr, sondern über eine regelmäßige Teilnahme wird man zu einem
Vollmitglied. Das heißt auch, dass es keine zahlenmäßigen Beschränkungen für die
Quartiersbewohnerschaft mehr gibt. Und genau dies ist auch das Interesse der Beiräte,
nämlich so viel wie möglich Interessierte und Engagierte für die Mitarbeit im Beirat zu
gewinnen.
Dies ist gleichbedeutend mit einer Entkoppelung der Beiräte von politischer oder verwaltungsmäßiger Einflussnahme auf die Selbstorganisation der Beiräte. Ihre Qualität besteht in der Unabhängigkeit von eben solcher und nur so können sie ihre Aufgabenstellung einer offenen, unparteiischen Meinungsbildung und der Organisierung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten für die Entwicklung der Quartiere erfüllen.
Die Stärke der Beiräte liegt darin, dass dort nicht Parteipolitik praktiziert wird, dass dort keine politischen Mehrheitsverhältnisse abgebildet werden, sondern dass Aushandlungsprozesse auf Basis des Engagements und der Verantwortlichkeit für einen Stadtteil ausgefochten werden. Und diese benötigt keine Legitimation von politischen Ausschüssen, seien es Regionalausschüsse oder der Cityausschuss. Ganz im Gegenteil, jede Form der Einflussnahme widerspricht dem Selbstverständnis der Beiräte und gefährdet ihre Unabhängigkeit von Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung.
Beiräte wissen darum, dass sie politisch nicht legitimiert sind („politisch nicht legitimiertes
Teilvolk“ – Dr. Michael Freitag, Referent für Bürger:innenbeteiligung in der BWFGB) und nicht unmittelbare Entscheidungsbefugnisse haben, aber aufgrund der sehr vielfältigen
Zusammensetzung trifft sich dort ein hohes Maß an Stadtteilexpertise, die für die
Entwicklungsprozesse von unschätzbarem Wert ist.
Es ist Aufgabe von Politik und Verwaltung, Partizipation und selbstbewusste, unabhängige
Beiräte ernst zu nehmen, diesen auf Augenhöhe zu begegnen und in ihrer Funktionsweise zu unterstützen, sich inhaltlich an den Diskussionsprozessen zu beteiligen und hernach die
Ergebnisse zu transportieren und einfließen zu lassen in die Entscheidungen in den
politischen Ausschüssen und in die Planungsprozesse der Verwaltung, nicht aber, deren
personelle Zusammensetzung, deren Tagungsrhythmus oder deren inhaltliche
Diskussionszuschnitte zu bestimmen. Dies wäre das vollkommene Verkennen von dem, was Beteiligung und zivilgesellschaftliche Organisierung ausmacht, nämlich Unabhängigkeit von politischem Proporz und Zwängen.
Die Mitarbeit in den Beiräten beruht allein auf der Motivation, sich für den eigenen Stadtteil
zu engagieren. Sie gilt dem Austausch unter vielfältigsten Akteur:innen und Interessenvertreter:innen auf der „untersten“ und damit dem Stadtteilherzschlag nächsten
Ebene mit dem Ziel einer Kompromissfindung bzw. einer Meinungsbildung, die jenseits von Individualinteressen sich Monat für Monat neu organisiert.
Dabei ist die Politik ein Teilnehmender, aber eben einer unter vielen und schon gar kein
bestimmender. Dort, wo sie dies sein möchte, widerspricht sie der DNA der Beiräte.
Dies wird in den Hamburger Bezirken durchaus geachtet und akzeptiert, so wie wir es aus
den Berichten im Netzwerk Hamburger Stadtteilbeiräte erfahren.
Eine dermaßen eklatante Einflussnahme in die Strukturgebung und personelle
Zusammensetzung einzelner Beiräte, im Falle von St. Georg bis hin zu einer Auflösung der
bisherigen Beiratsstruktur, euphemistisch umschrieben als Aussetzung bzw. Neuausrichtung, ist ein völlig inakzeptabler Eingriff in die Autonomie der Beiräte und unserer Kenntnis nach einmalig im Verhältnis zwischen Beiräten und Bezirkspolitik.
Das Netzwerk der Hamburger Stadteilbeiräte fordert die politischen Gremien in St. Georg
und Wilhelmsburg eindringlich auf, sich an der Praxis in den anderen Bezirken zu orientieren, die Beiräte als eigenständige Organisationsformen mit ihrer variablen, aber
selbstbestimmten Zusammensetzung zu akzeptieren und in ihrem unabhängigen Wirken zu unterstützen.
Konkret heißt das,
- den Stadtteilbeirat St. Georg in seiner bisherigen Form uneingeschränkt
fortzuführen, bis eine Neukonzeptionierung verabredet ist
sowie - Kandidaturen und Vertretungen von Ortsbereichen aus Sicht des Wilhelmsburger Beirats anzuerkennen und nicht durch parteipolitische Präferenzen und Beeinflussungen infrage zustellen.
Die Lenkungsgruppe des Netzwerks Hamburger Stadtteilbeiräte
c/o Stadtteilbüro Dulsberg
Stellungnahme des Instituts für Konfliktaustragung und Mediation zur geplanten Neuausrichtung des Stadtteilbeirats St. Georg
Das Institut für Konfliktaustragung und Mediation e.V. (ikm) ist seit 1998 ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in St.Georg, jedoch stadtweit aktiv. Lokal im Stadtteil sind wir vom Bezirksamt Mitte, Fachamt Sozialraummanagement beauftragt mit der Koordinierung der lokalen Partnerschaften für Demokratie im Rahmen des Bundesprojekts „Demokratie leben! St.Georg – Borgfelde“. Als Teil dieser Koordinierungsstelle moderieren wir seit 2011 einen Begleitausschuss mit Einrichtungsvertretungen aus St. Georg und Borgfelde. Der Begleitausschuss arbeitet eng zusammen und ist sehr divers zusammengestellt, mit Vertretungen aus säkularen Einrichtungen wie Schulen, Kulturladen, Bücherhallen, AIDSHilfe, Sportverein, Einwohnerverein und mit Vertretungen aus vielen religiösen Gemeinden (muslimisch, christlich, jüdisch), wie auch das SCHORSCH als wichtiger Stadtteilakteur. Der Begleitausschuss bespricht gesellschaftspolitische und lokale Themen und entscheidet über Anträge aus dem Sozialraum mit einem Aktionsfonds von 45.000 Euro jährlich. Die drei inhaltlichen Säulen der Förderungen sind Interkultureller/interreligiöser Austausch, Empowerment von Minderheiten und Beteiligung im öffentlichen Raum. Zusätzlich ist das ikm als Koordinierungsstelle von Demokratie leben! St.Georg-Borgfelde Träger des Jugendforums, welches ein Zusammenschluss von 15 jungen Menschen aus unterschiedlichen Einrichtungen ist, die ein eigenes jungerwachsenen Moderationsteam haben und ein zusätzliches Budget von 10.000,- € verwalten. Auch das Jugendforum ist mit zwei Stimmen aktiv im Begleitausschuss vertreten.
Seit der Übernahme der Koordination der Partnerschaft für Demokratie St. Georg/Borgfelde in 2011, pflegen wir einen guten und konstruktiven Kontakt zu Mitglieder*innen des Stadtteilbeirates. Menschen und Institutionen, die sich im Begleitausschuss der Partnerschaft engagieren, sind auch Teil des Stadtteilbeirates. Somit gab es an geeigneten Stellen einen konstruktiven Austausch und Informationsfluss zwischen beiden Gremien. Das ikm als gemeinnütziger Verein ist nicht ausschließlich auf den Stadtteil St. Georg begrenzt, sondern arbeitet hamburgweit und auch darüber hinaus. Deshalb sahen wir, abgesehen von unserem Engagement als Koordinierungsstelle, keinen Anlass eine aktive Rolle im Stadtteilbeitrat einzunehmen – auch wenn wir stets die Möglichkeit dazu hatten.
Wir sind überrascht und irritiert, dass in der Drucksache 22-3516 zur Neuausrichtung des Stadtteilbeirats beispielhaft das ikm, das Jugendforum und die Partnerschaften für Demokratie aufgelistet sind als mögliche neue Mitglieder*innen – ohne das mit uns seitens Verwaltung oder Politik darüber in den Austausch getreten wurde. Dies
impliziert für Lesende, das wir bisher nicht eingeladen worden wären oder es keinen Austausch gegeben hätte. Dies möchten wir hiermit richtigstellen.
Wir befürworten eine Intensivierung der Zusammenarbeit des Begleitausschusses und des (zukünftigen) Stadtteilbeirates und stehen für Gespräche der Ausgestaltung gern bereit. Wir hoffen auf einen gelingenden Prozess der Neuausrichtung im Sinne des Stadtteils, der das jahrzehntelange Engagement vieler Mitglieder des Stadtteilbeirats würdigt und wertschätzt.
Katty Nöllenburg und Urs Erben, Geschäftsführung ikm