Presseerklärung des Einwohner*innenvereins St. Georg von 1987 e.V. vom 12.09.2024

Zur sozialen Lage im Stadtteil, zu den ordnungs- und sozialpolitischen Maßnahmen am Hauptbahnhof und ihren Auswirkungen auf St. Georg

In den vergangenen zwei, drei Jahren hat sich die soziale Lage in unserem Stadtteil – vor allem das Bild auf den Straßen, Plätzen und Höfen – stark verändert. Drogenkonsum und -handel, vermehrter Alkoholkonsum und aggressives Verhalten, vor allem eine starke Zunahme der Menschen ohne Obdach und ihre Verelendung sorgen in Teilen St. Georgs für immer angespanntere Verhältnisse. Wir sehen diese Erscheinungen vor allem als Ergebnis zunehmender sozialer Verwerfungen, verursacht durch Armut und Entwurzelung, Inflation und fehlenden bezahlbaren Wohnraum. In St. Georg nehmen wir die Entwicklungen aber auch wahr als unmittelbare Auswirkungen der City- und vor allem der Hauptbahnhofpolitik des Senats und des Bezirksamtes Hamburg-Mitte. Mit den „Quatrostreifen“, vielen neuen Überwachungskameras, dem Waffen-, Bettel- und Alkoholverbot soll der Hauptbahnhof wie schon in den 1990er Jahren clean gemacht werden, mit genau den selben absehbaren Auswirkungen auf das benachbarte St. Georg wie damals. Verdrängung ist aber keine Lösung, sondern geht zu Lasten der betroffenen Gruppen wie auch der Menschen in St. Georg.

Der Erwerb des leerstehenden 6.500-Quadratmeter-Bürogebäudes in der Repsoldstraße 27 nahe dem „Drob Inn“ ermöglicht der Stadt, den ordnungspolitischen nun auch sozial- und gesundheitspolitische Maßnahmen folgen zu lassen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Dimension des Gebäudes beinhaltet aber erhebliche Gefahren. Um die riesige Fläche sinnvoll zu füllen, stellte Staatsrat Angerer (Sozialbehörde) im Stadtteilbeirat St. Georg Ende Juli eine Fülle möglicher Nutzungen in Aussicht, die uns in dieser Konzentration und gleich neben dem Drob Inn sozial z.T. nicht kompatibel erscheinen. Zwar sind zusätzliche Notschlafplätze (Tag und Nacht) in Ergänzung bzw. Erweiterung des Angebots vom „NOX“ (Projekt der Jugendhilfe neben/über dem Drob Inn) dringend erforderlich und sollen wohl auch vorrangig eingerichtet werden. Das halten wir für sehr sinnvoll. Im gleichen Haus aber möglicherweise „Lebensplätze für Frauen“, eine EU-Arbeitnehmerpension oder gar einen Trinkraum für Alkoholkonsumierende neben den Drogenhilfe-einrichtungen unterzubringen, führt unweigerlich zu Konflikten und widerspricht allen fachlichen Erfahrungen. Und wenn dieses große Haus mit vielen unterschiedlichen Einrichtungen gefüllt wird, bestünde die Gefahr, dass immer mehr an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Gruppen nach St. Georg gezogen werden. Das steht dem Gedanken der Dezentralisierung von Hilfsangeboten deutlich entgegen, zumal die weitere Gefahr in der Folge besteht, dass Einrichtungen in entfernter gelegenen Stadtteilen aus Kostengründen und weil das Personal gar nicht anders zu rekrutieren ist, geschlossen werden. Wir halten eine so massive Konzentration unterschiedlicher Hilfsangebote einerseits für sozialpolitisch riskant und sehen auch Gefahren für die Wohnstandorte St. Georg und Münzviertel.

Deshalb schlagen wir vor, das Gebäude zu großen Teilen zu nutzen, um das Übel an einer Wurzel zu packen: Die vielen aus der Gesellschaft gefallenen Menschen haben die unterschiedlichsten biografischen Einschläge und Abstürze durchlebt und brauchen entsprechend unterschiedlichste Beratung, Unterstützung, Betreuung und Versorgung. Aber alle brauchen in gleicher Weise, um wieder auf die Füße zu kommen, eine Wohnung.

Warum also nicht das Gebäude nutzen für ein größeres Housing-First-Projekt?! Es sollte unserer Ansicht nach ernsthaft geprüft werden, wie es möglich ist, dass ein großer Teil dieses Bürokomplexes in abgeschlossene Kleinwohnungen für obdachlose Menschen umgebaut werden kann.

 Unsere Positionen und Forderungen:

  1. Der Senat soll Abstand nehmen von seiner dominierenden Verdrängungsstrategie am Hauptbahnhof. Nichts spricht z.B. gegen die Ausgabe von Lebensmitteln am „Gabenzaun“ auf dem Hachmannplatz, die jahrelang im Interesse der Betroffenen geklappt hat.
  2. Die Privatisierung von Flächen auf dem Hachmannplatz, die verstärkte Bestreifung, das Bettel- und das Alkoholverbot auf dem Hauptbahnhof hat für die Betroffenen lediglich zur Folge, dass sie ihren Bedürfnissen an anderer Stelle nachgehen und in die Wohnstraßen, Hinterhöfe und (Spiel-) Plätze St. Georgs umziehen. Das Bettel- und das Alkoholverbot auf dem Hauptbahnhof sind aus unserer Sicht absolut kontraproduktiv.
  3. Mit dem Kauf einer Riesenimmobilie an der Repsoldstraße für geschätzte 10 bis 12 Mio. Euro hat sich der Senat selbst unter Druck gesetzt, das Haus irgendwie vollzukriegen und hier alles zu konzentrieren, was an nötigen neuen Einrichtungen geschaffen oder womöglich von anderswo hierher verlagert werden soll. Dies widerspricht komplett dem über einen langen Zeitraum in den 1990er Jahren erarbeiteten und ausgehandelten Konzept der Dezentralisierung, einem Kompromiss, in dem St. Georg als Hauptbahnhofviertel seiner sozialen Verantwortung gerecht wird, aber vonseiten des Senats zugleich auch dafür Sorge getragen wird, flächendeckende, also dezentrale Einrichtungen und Angebote für hilfsbedürftige Menschen außerhalb des Stadtteils und somit in ganz Hamburg zu schaffen.
  4. Statt einer Mega-Einrichtung mit einer stark erweiterten Angebotspalette und der Ansprache einer etwaig erweiterten Klientel plädieren wir dafür, endlich einen spürbaren Schritt zur Verringerung der Obdachlosigkeit zu unternehmen, zu der sich auch der Senat bis zum Jahre 2030 verpflichtet hat. Wir schlagen vor, dass nach entsprechender Prüfung und sicher nötigem Umbau mindestens die Hälfte der Fläche zu kleinen Wohneinheiten umgestaltet wird, um diese Menschen in eine stabilisierende Situation zu bringen und damit für sie eine dauerhafte Perspektive zu schaffen – jenseits des Elends auf den Straßen. Notwendig ist zudem eine Begleitung dieser Menschen in einer solchen neuen Lebensphase.
  5. Wir bekräftigen die Forderung nach angemessener Beteiligung der Menschen und Vereine aus St. Georg und dem Münzviertel – auf Augenhöhe! – an der weiteren Nutzungsplanung für das Gebäude an der Repsoldstraße.

Presseerklärung des Einwohner*innenvereins St. Georg von 1987 e.V. vom 26.5.2024

Wider die Verdrängung des sozialen Elends von öffentlichen Orten, gegen das Alkoholverbot auf dem Hauptbahnhof und das Bettelverbot in Bahnhöfen und U-Bahnen!
Solche Maßnahmen gehen immer auf Kosten der betroffenen Menschen und des Hauptbahnhofviertels St. Georg!

Immer neue Maßnahmen werden ergriffen, um unliebsame Erscheinungen, soziales Elend und Armut von einigen öffentlichen Orten zu verbannen. Jetzt hat die Hochbahn die strikte Durchsetzung des Bettelverbots an den Bahnhöfen und in der U-Bahn angekündigt. Wir erinnern: In den vergangenen Jahren hatten schon der Abbau nahezu sämtlicher Parkbänke in der City und St. Georg sowie kürzlich das Verbot des „Gabenzaunes“ und des Alkoholkonsums auf dem Hauptbahnhofgelände zu keiner Verbesserung der Lage geführt.

Stattdessen wird nun also auch von der Hochbahn der Kurs verschärft, die Kehrseiten des Reichtums und gesellschaftlicher Verwerfungen zu kaschieren bzw. irgendwohin zu verlagern. Dabei hatte sich der Senat doch verpflichtet, die Überwindung der Obdach- und Wohnungslosigkeit bis zum Jahre 2030 zu erreichen. Doch statt erkennbarer Schritte in dieser Richtung werden die alten Verdrängungsmaßnahmen reaktiviert.

Als St. Georger*innen können wir ganze Arien davon singen, was diese Strategie mit den Betroffenen und unserem Stadtteil macht. Denn hier erleben wir in der jüngsten Vergangenheit – parallel zu den Verdrängungsmaßnahmen am Hauptbahnhof – ein spürbares Anwachsen der Zahl der Obdachlosen und eine ebenso deutliche Zunahme ihrer Verelendung. Verdrängung löst keine Probleme sondern verlagert und verschärft sie nur!

Seit seiner Gründung hat der Einwohner*innenverein St. Georg deshalb u.a. für Fixerräume und ein umfassendes Beratungsangebot im Stadtteil gekämpft. Und wir haben immer betont und appellieren auch weiterhin an den Senat und die Bahnverantwortlichen, den Hauptbahnhof nicht nur als Verkehrsfläche zu betrachten, sondern anzuerkennen, dass er, wie wohl nahezu alle Bahnhöfe der Welt, Aufenthaltsort und bisweilen sogar Lebensmittelpunkt für eine größere Anzahl an den Rand gedrängter Menschen in prekärer Lage ist. Wenn sie hier nicht mehr um eine kleine Spende bitten dürfen, nicht an den Bahnhöfen, nicht in den U-Bahnen, nicht in der City, wo bitteschön sollen sie sich ihren Lebensunterhalt sonst verdienen?

Wir haben eine solche Entwicklung schon in den 1990er Jahren erlebt und immer wieder kritisiert: Die „Visitenkartenpolitik“ des Senats, den Hauptbahnhof mit Razzien und Verboten clean und weiß zu machen, mag zur Entlastung des Hauptbahnhofs beigetragen haben, hat aber wie bei kommunizierenden Röhren gleichzeitig zu einer massiven Verschärfung der Dauerbelastungen in St. Georg geführt. Genauso läuft es in der Gegenwart. Obwohl der Gabenzaun am Rande des Hachmannplatzes niemand wirklich gestört hat, wurde er untersagt – und die Lebensmittelausgabe teilweise ins benachbarte Wohnviertel verlagert. Obwohl Alkoholkonsum und Betteln Passant*innen auf dem Weg zum Zug schlimmstenfalls für einen Moment verunsichert haben, sorgt das mit Polizei und Sicherheitskräften durchgesetzte Verbot nun für eine Verdrängung – nach St. Georg, und dort wiederum für Belastungen in der direkten Nachbarschaft rund um die Uhr.

Wir rufen dazu auf, das Bettelverbot auf den Bahnhöfen und in den U-Bahnen nicht durchzusetzen. Und wünschen uns, dass das Alkverbot auf dem Hauptbahnhofgelände wieder aufgeboben und der Gabenzaun am Hachmannplatz weiter betrieben werden kann.

Erklärung zur ersten Sitzung am 29.11.2023 nach der Auflösung des Stadtteilbeirats St. Georg auf Beschluss der Bezirkskoalition aus SPD, CDU und FDP am 31.1.2023

Wir machen’s kurz:

  1. Der Stadtteilbeirat St. Georg war bis zu seiner letzten regulären Sitzung am 30.11. 2022 der älteste und anerkanntermaßen bestbesuchte Beirat in Hamburg.
  1. Das von der Deutschlandkoalition am 31.1.2023 beschlossene Verfahren zur sog., von oben aufgesetzten „Neuausrichtung des Stadtteilbeirats“ ist gescheitert. Entgegen der verkündeten und auch uns unserer Sicht richtigen Zielsetzung, mehr Menschen und neue Gruppen zu gewinnen, haben sich auf den auch erst auf Druck konzedierten drei Workshops des Bezirksamtes zusammen gerade so viele BesucherInnen eingefunden, wie auf jeder gut besuchten Stadtteilbeiratssitzung. An den von der Lawaetz-„Moderatorin“ anberaumten beiden Vorbereitungstreffen für die heutige Sitzung haben sich gerade mal 2 bzw. 3 Personen beteiligt. Es hat unterm Strich keine erkennbaren Bemühungen gegeben, den Kreis der aktiv Beteiligten an den Beiratssitzungen zu erweitern.
  1. Das nährt die Zweifel bzw. bestätigt die Befürchtungen, dass es bei der „Neuausrichtung“ gar nicht um eine Erweiterung des Stadtteilbeirats ging, sondern um seine Zurichtung zu einem stromlinienförmigeren Gremium. Die faktische Halbierung der „Beteiligung“ auf fünf Sitzungen zu je zwei Stunden pro Jahr, die angekündigte Begrenzung auf ein durch „ExpertInnen“ eingeleitetes Thema und einen Antrag dazu und gleichzeitig das zeitraubende methodische Zerfasern der eh schon kurzen Sitzung wird der vielfältigen Problemlage in St. Georg in keiner Weise gerecht.
  1. Ein Jahr lang ist dem Stadtteil die Möglichkeit genommen worden, zu aktuellen Entwicklungen Position zu beziehen und Forderungen zu erheben. Aber darum ging’s ja auch, endlich Schluss damit zu machen, dass der Stadtteilbeirat zu verschiedenen St. Georger Fragen Stellung nimmt und vom Bezirk Änderungen verlangt. Aus dem sich unabhängig verstehenden Stadtteilbeirat ist nun offenbar ein Stadtteilbeirätchen von bezirklichen Gnaden Mit der allenthalben betonten BürgerInnenbeteiligung hat das nichts mehr zu tun. Im Gegenteil, die vom Bezirk mehrheitlich gewollte und von Lawaetz umgesetzte „Neuausrichtung“ ist weniger als wir vorher hatten. Die Gräben sind damit vertieft worden, Bemühungen um eine einvernehmliche Lösung hat es nicht gegeben, jegliche Entschuldigung ist unterlassen worden, neues Vertrauen ist nicht aufgebaut, alle Änderungsvorschläge sind in den Wind geschlagen worden. Die Lust zur Teilnahme ist vielen von uns vergangen. Dabei hätten wir immer an einer konstruktiven Verbesserung der Beiratsarbeit mitgewirkt. Aber nicht so.
  1. Das ganze Verfahren ist für die gut 50 Hamburger Stadtteilbeiräte einmalig, so viel Eingriff in deren Beteiligungsstruktur und Autonomie war nie.

Antrag des Einwohnervereins St. Georg von 1987 e.V. für die Sitzung des „neu ausgerichteten Stadtteilbeirats St. Georg“ am 29.11.2023

Am 30.11.2022 hatte der damalige Stadtteilbeirat St. Georg auf der letzten Sitzung vor seiner faktischen Auflösung eine mit sehr großer Mehrheit angenommene Empfehlung zum Thema Obdachlosigkeit und zur zunehmenden Verelendung von Menschen in unserem Hauptbahnhofviertel beschlossen. Unklar ist ein Jahr nach diesem Beschluss, was der Bezirk Hamburg-Mitte im Einzelnen oder überhaupt unternommen hat, den Wünschen aus dem Stadtteil nachzukommen. Daher wird der fast genau ein Jahr alte Antrag hiermit erneut vorgelegt, zudem aber auch mit Blick auf weitere Entwicklungen – in rot gehalten – aktualisiert.

 

Es wird beantragt:

 

  1. Das Bezirksamt wird aufgefordert, in Zusammenarbeit mit dem Stadtteilbeirat und den örtlichen Initiativen mit Blick auf den bevorstehenden Winter zeitnah nach geeigneten Flächen für kleine Containereinheiten (für jeweils 2 bis 4 Wohn- und 1 Sanitärcontainer), Ausschau zu halten, um dort kurzfristig obdachlose Menschen unterzubringen. Selbstverständlich soll hier auch eine sozialarbeiterische Begleitung gewährleistet werden.

 

  1. Das Bezirksamt wird aufgefordert, insbesondere größere Parkplatzflächen (wie z.B. Sportspaß, das Gelände der katholischen Kirche, auf dem Einrichtungen geschlossen worden sind) darauf hin zu prüfen, ob hier weitere Möglichkeiten zur Aufstellung von Wohncontainern bestehen.

 

  1. Der Senat wird aufgefordert, das Ziel der Beseitigung der Obdachlosigkeit bis 2030 endlich mit einem durchdachten und mit der Zivilgesellschaft rückgekoppelten Aktionsplan anzugehen und dafür als erste Maßnahmen a) das zum 1. November 2023 wieder angelaufene Winternotprogramm auch tagsüber zu öffnen und b) überhaupt zu entfristen, also unbegrenzt weiterlaufen zu lassen. Das Ziel sollte dabei sein, öffentliche Notunterkünfte in dauerhafte, reguläre Wohneinheiten umzuwandeln.

 

  1. Der Senat wird aufgefordert, um dem Ziel der Überwindung der Obdachlosigkeit und der Schaffung eines neuen Zuhauses für die betroffenen Menschen schnell näher zu kommen, das Modellprojekt „Housing First“ mit zunächst lediglich 30 Wohnplätzen schnellstens in ein Regelprojekt zu überführen, da sich Housing First längst nicht nur in Finnland als erfolgreiches Prinzip erwiesen hat, die Obdachlosigkeit massiv zurückzufahren.
  2. Der Senat wird aufgefordert, den Anteil der neu gebauten Wohnungen für vordringlich wohnungssuchende Haushalte nochmals deutlich zu erhöhen.

 

  1. Senat und Bezirksamt werden aufgefordert, mehr Personal für den Wohnraumschutz bereitzustellen, um der gerade auch in St. Georg verbreitet festzustellenden Zweckentfremdung von Wohnraum (gewerbliche Nutzung von Wohnraum, Leerstand, Ferienwohnungen usw.) erheblicher intensiver nachgehen zu können.

 

  1. Das Bezirksamt wird aufgefordert, davon abzusehen, Spendenausgabestellen für Obdachlose vom Hachmannplatz ins St. Georger Wohngebiet zu verlagern. Einrichtungen dieser Art, also solche mit erheblicher Außenfrequenz, sollten auf dem Hauptbahnhofgelände und am Rand des Stadtteils, jedenfalls nicht im Wohngebiet angesiedelt werden.

 

  1. Das Bezirksamt wird ersucht, die Toleranz und Akzeptanz der St. Georger*innen gegenüber sozialen Einrichtungen nicht zu strapazieren, sondern zu erhalten und zu fördern. Das erfordert, dass gemeinsam – also an einem Runden Tisch unter Beteiligung nicht zuletzt der Anwohner*innen – erörtert wird, wo für alle Betroffenen und Beteiligten geeignete Standorte zu finden sind.

 

  1. Die jüngst erfolgte Ankündigung von Maßnahmen gegen die Verelendung rund um den Hauptbahnhof durch Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer wird grundsätzlich begrüßt. Allerdings weist der sog. „3-Punkte-Plan“, bestehend aus den Elementen

+ gemeinsame Spitzengespräche mit den Hilfseinrichtungen

+ Schaffung einer „Koordinierungsstelle Sozialarbeit“ für den Hauptbahnhof und das Umfeld

+ kurzfristige, befristete Schutzwohnungen für Betroffene

(„DIE WELT“ vom 18./19.11.2023, im Netz unter https://www.welt.de/regionales/hamburg/article248600842/3-Punkte-Plan-gegen-Verelendung-an-Hamburgs-Hauptbahnhof.html)

erneut das grundlegende Manko auf, die Stadtteilgremien und die Menschen vor Ort in die Debatte nicht miteinzubeziehen. Auch hier ist Bürger*innenbeteiligung unverzichtbar.

 

  1. Der Vorplatz des „Drob Inn“ muss umgestaltet werden. Hier halten sich täglich viele, weit überwiegend obdachlose Menschen aus dem Milieu auf. Es ist überfällig, die erbärmliche Anlage des Platzes deutlich menschenwürdiger zu gestalten und dafür die Zusammenarbeit mit dem „Drob Inn“ zu suchen.

 

Hier noch einmal der Antrag, den der Stadtteilbeirat St. Georg am 29.11.2022 beschlossen hatte:

 

Antrag des Einwohnervereins St. Georg von 1987 e.V. vom 10.11.2022 für die Sitzung des Stadtteilbeirats St. Georg am 30.11.2022, dort an diesem Tage beschlossen

 

St. Georg ist durch die Eröffnung des Hamburger Hauptbahnhofes 1906 zum „Hauptbahnhofviertel“ geworden. Wie in vermutlich allen Hauptbahnhofvierteln dieser Welt konzentrieren sich hier die Problemlagen einer sozial gespaltenen Stadt. Kaum anderswo treten Armut, Elend, Drogenkonsum, Obdachlosigkeit usw. deutlicher in Erscheinung als eben in unserem Stadtteil. Viele Jahre setzen sich St. GeorgerInnen nun schon mit diesen Phänomenen auseinander, erleben und erdulden sie, suchen aber auch nach Lösungen zur Verbesserung der Lage. Denn, so eine beispielhafte Grunderfahrung der drogenpolitisch bewegten 1990er Jahre, was den Drogenabhängigen nutzt und ihre Situation verbessert, das nutzt auch dem Hauptbahnhofviertel und dient der Entspannung seiner BewohnerInnen.

Mit Blick auf die jüngste Vergangenheit stellen wir fest, dass es eine massive Verschärfung des Phänomens Obdachlosigkeit in St. Georg gibt. Das gilt nach unserer Wahrnehmung sowohl für die deutlich gewachsene Anzahl der sich im Hauptbahnhofviertel aufhaltenden und übernachtenden Obdachlosen wie auch für deren erkennbaren Grad der Verelendung. Hier bedarf es endlich geeigneter, schnell greifender und nachhaltiger Maßnahmen, gerade auch im Hinblick auf den bevorstehenden Winter, aber auch vor dem Hintergrund beträchtlich erhöhter Kosten z.B. für Lebensmittel und einer Inflationsrate von mittlerweile über zehn Prozent.

Zudem sei daran erinnert, dass nicht nur das EU-Parlament, sondern Ende 2021 auch der Hamburger Senat verkündet hat, die Obdachlosigkeit (in unserer Stadt) bis zum Jahre 2030 abzuschaffen. Bisher hat es in dieser Richtung allerdings keine erkennbaren Schritte gegeben, ganz im Gegenteil, wie oben angeführt nehmen die Obdachlosigkeit, die Verelendung und Begleiterscheinungen weiter zu.

 

Der Stadtteilbeirat St. Georg möge daher beschließen:

 

1.     Das Bezirksamt wird aufgefordert, in Zusammenarbeit mit dem Stadtteilbeirat und den örtlichen Initiativen zeitnah nach geeigneten Flächen für kleine Containereinheiten (für jeweils 2 bis 4 Wohn- und 1 Sanitärcontainer), Ausschau zu halten, um dort kurzfristig obdachlose Menschen unterzubringen. Selbstverständlich soll hier auch eine sozialarbeiterische Begleitung gewährleistet werden.

2.     Das Bezirksamt wird aufgefordert, insbesondere größere Parkplatzflächen (wie z.B. Sportspaß, das Gelände der katholischen Kirche, auf dem Einrichtungen geschlossen werden) daraufhin zu prüfen, ob hier weitere Möglichkeiten zur Aufstellung von Wohncontainern bestehen.

3.     Der Senat wird aufgefordert, das Ziel der Beseitigung der Obdachlosigkeit bis 2030 endlich mit einem durchdachten und mit der Zivilgesellschaft rückgekoppelten Aktionsplan anzugehen und dafür als erste Maßnahmen a) das zum 1. November 2022 wieder angelaufene Winternotprogramm auch tagsüber zu öffnen und b) überhaupt zu entfristen, also unbegrenzt weiterlaufen zu lassen. Das Ziel sollte dabei sein, öffentliche Notunterkünfte in dauerhafte, reguläre Wohneinheiten umzuwandeln.

4.     Der Senat wird aufgefordert, um dem Ziel der Überwindung der Obdachlosigkeit und der Schaffung eines neuen Zuhauses für die betroffenen Menschen schnell näher zu kommen, das Modellprojekt „Housing First“ mit zunächst lediglich 30 Wohnplätzen schnellstens in ein Regelprojekt zu überführen, da sich Housing First längst nicht nur in Finnland als erfolgreiches Prinzip erwiesen hat, die Obdachlosigkeit massiv zurückzufahren.

5.     Der Senat wird aufgefordert, den Anteil der neu gebauten Wohnungen für vordringlich wohnungssuchende Haushalte nochmals deutlich zu erhöhen.

6.     Senat und Bezirksamt werden aufgefordert, mehr Personal für den Wohnraumschutz bereitzustellen, um der gerade auch in St. Georg verbreitet festzustellenden Zweckentfremdung von Wohnraum (gewerbliche Nutzung von Wohnraum, Leerstand, Ferienwohnungen usw.) erheblicher intensiver nachgehen zu können.

 

Antrag des Einwohnervereins St. Georg von 1987 e.V. für die Sitzung des „neu ausgerichteten Stadtteilbeirats St. Georg“ am 29.11.2023

Am 23.2.2021 hatte der damalige Stadtteilbeirat St. Georg die einhellige Empfehlung ausgesprochen, den parallel zu den Gleisen verlaufenden namenlosen Weg zwischen der Ernst-Merck-Straße und dem Ferdinandstor nach der in St. Georg aufgewachsenen Publizistin, Schauspielerin und Politikerin Inge Stolten (1921-1993) einzubenennen. Diesem Antrag hatte der Senat 19 Monate später, am 22.9.2022, stattgegeben, und die Einbenennung am 4.10.2022 im Amtlichen Anzeiger bekannt gegeben. Der Bezirk Hamburg-Mitte hatte es danach leider unterlassen, den Beirat auf der letzten Sitzung vor seiner faktischen Auflösung am 30.11.2022 darüber zu informieren. Seither ist nichts weiter zur Bekanntgabe der Neubenennung passiert.

Es wird daher beantragt,

  1. zeitnah zwei Straßenschilder mit der Aufschrift „Inge-Stolten-Weg“ nahe der Ernst-Merck-Straße auf der einen und am Ferdinandstor auf der anderen Seite aufzustellen;
  2. auf den Schildern eine kurze Erläuterung zur Person Inge Stolten aufzunehmen und dafür die Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt St. Georg e.V. zu nutzen;
  3. die Aufstellung der beiden Schilder in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt St. Georg e.V. und weiteren interessierten Gruppen mit einer kleinen Einweihungszeremonie zu verbinden.

 

Hier noch einmal der Antrag, den der Stadtteilbeirat St. Georg am 23.2.2021 beschlossen hatte:

 

Antrag der Geschichtswerkstatt St. Georg e.V. vom 3.2.2022 für die Sitzung des Stadtteilbeirats St. Georg am 23.2.2021, dort an diesem Tage beschlossen

 

St. Georg hat eine reiche, mehr als 800 Jahre währende Geschichte, die mindestens zur Hälfte von Frauen geprägt wurde. Doch tatsächlich spiegelt sich das im Stadtteilalltag, konkret in der Benennung von Straßen, Plätzen, Parks und Brücken in so gar keiner Weise wider.

Den auf männliche Personen zurückgehenden 31 Ortsbezeichnungen Adenauerallee, Alexanderstraße, Altmannbrücke, August-Bebel-Park, Barcastraße, Baumeisterstraße, Böckmannstraße, Brockesstraße, Bülaustraße, Carl-LegienPlatz, Carl-von-Ossietzky-Platz, Ernst-Merck-Brücke, Ernst-Merck-Straße, Ferdinand-Beit-Straße, Gurlittstraße, Hachmannplatz, Helmuth-Hübener-Gang, Jürgen-W.-Scheutzow-Park, Julius-Kobler-Weg, Kennedybrücke, Knorrestraße, Nagelsweg, Kurt-Schumacher-Allee, Rautenbergstraße, Repsoldstraße, RobertNhil-Straße, St. Georgs Kirchhof, St. Georgstraße, Schmilinskystraße, Schweimlerstraße, Westphalensweg stehen lediglich drei weibliche Namen gegenüber:

•       seit 1948 die Ellmenreichstraße, benannt nach Franziska Ellmenreich

(1847-1931), einer bekannten Schauspielerin und Mitbegründerin des Deutschen Schauspielhauses;

•       seit 2011 der Heidi-Kabel-Platz (1914-2010), benannt nach der bekannten

Schauspielerin des niederdeutschen Ohnsorg-Theaters;

•       seit 2013 der Platz Am Mariendom…

Damit haben von insgesamt 88 benannten „Verkehrsflächen“ in St. Georg 31 männliche und 3 weibliche Bezeichnungen, nicht einmal zehn Prozent, von Namen von Migrantinnen und Einwanderern einmal ganz abgesehen. Zeit also, dieses Missverhältnis zu verändern.

 

Die Geschichtswerkstatt St. Georg e.V. beantragt hiermit, den zwischen der Ernst-Merck-Straße und dem Ferdinandstor verlaufenden, bisher unbenannten Fußweg als Inge-Stolten-Weg neu einzubenennen.

 

Inge Louise Stolten (* 23. März 1921 in Hamburg; † 4. Mai 1993 ebenda) war eine deutsche Schauspielerin, Schriftstellerin, Journalistin und Politikerin. Während der NS-Zeit gehörte sie dem passiven Widerstand im Umkreis der Weißen Rose Hamburg an. Durch eine Tuberkuloseerkrankung als Schauspielerin berufsunfähig, veröffentlichte sie ab 1956 zahlreiche Schriften und Rundfunkbeiträge zu verschiedenen gesellschaftspolitischen Themen sowie autobiographische Werke. Sie war die Großnichte von Otto Stolten und zweite Frau von Axel Eggebrecht.

 

Wikipedia-Eintrag zu Inge Stolten, abgefragt am 1.2.2022, https://de.wikipedia.org/wiki/Inge_Stolten

 

Inge Stolten ist 1921 in St. Georg geboren worden und in der Koppel aufgewachsen. Sie stammte aus einem sozialdemokratischen Arbeiterhaushalt, spielte hinterm Schauspielhaus, ging auf die Mädchenschule in der Koppel, machte 1939 Abitur, wurde aber wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ nicht zum Studium zugelassen, absolvierte ab 1940 eine Schauspielausbildung und war danach am Deutschen Schauspielhaus engagiert. Als Gegnerin der Nazis tauchte sie in den letzten Kriegstagen unter, kehrte anlässlich der Kapitulation aber in die Stadt zurück und wurde noch am Tag der Befreiung als Dolmetscherin für die britische Militärregierung in St. Georg tätig. Über diese frühen Jahre hat Inge Stolten etliche Schriften verfasst und sich in Interviews oftmals dieser Zeit erinnert. Nicht zufällig gehörte sie in den ersten beiden Jahren dem Vorstand der St. Georger Geschichtswerkstatt an.

Nach 1945 war Inge Stolten zunächst einige Jahre als Theater- und Film-Schauspielerin engagiert, musste wegen einer schweren Erkrankung ihren Beruf 1956/57 allerdings aufgeben. In diesen Jahren wurde sie beim NWDR Hörspiel- und Synchronsprecherin und war bald eine angesehene, bekannte Journalistin für Radio und Fernsehen und publizierte verschiedene Sachbücher. Inge Stolten gehörte damit zu den markantesten demokratischen Persönlichkeiten des westdeutschen Nachkriegs-Journalismus. Bereits 1954 hatte sie den NWDR-Mitbegründer Axel Eggebrecht (1899-1991) kennengelernt, mit dem sie – nach langer Skepsis gegenüber einer Hochzeit – ab 1982 auch verheiratet war. In den letzten Jahren ihres (gemeinsamen) Lebens engagierte sich die beiden in der PDS, um sich damit vor allem gegen „das Überrollen der DDR“ und nationalistische Bestrebungen zu engagieren.

Inge Stoltens inzwischen erschlossener, umfangreicher Nachlass befindet sich heute in der Staats- und Universitäts-Bibliothek Carl von Ossietzky. Im „Garten der Frauen“ auf dem Ohlsdorfer Friedhof trägt ein Gedenkstein auch ihren Namen. Mit der Einbenennung eines Weges nach Inge Stolten soll dieser aufrechten, kritischen Zeitzeugin an ihrem Geburtsort Hamburg-St. Georg gedacht werden.

Zeitschriftenbeitrag Común | Stadtteilbeiräte – ein Modell der Bürger:innenbeteiligung?

Wie sich die Hamburger Sanierungsbeiräten der 1970er Jahre als Quartiers- und Stadtteilbeiräte zu einem umkämpften Korrektiv der Politik entwickelten

Von Michael Joho

Vor einem Jahr hätte ich noch uneingeschränkt für Stadtteilbeiräte als ein Beteiligungsmodell von unten plädiert. Aufgrund der faktischen Auflösung des Stadtteilbeirats St. Georg durch den zuständigen Bezirk Hamburg-Mitte – genauer die dort regierende konservative »Deutschlandkoalition« aus SPD, CDU und FDP – bin ich ernüchtert. Im Zweifelsfall würgt die etablierte Politik einen allzu kritischen Beirat einfach ab, auch wenn er der älteste Hamburgs (seit 1979) und zudem der bestbesuchte (mit bisweilen 100 Teilnehmer:innen) war. Aber fangen wir vorne an.

Vor dem Hintergrund einer in Bewegung geratenen Gesellschaft ab Mitte der sechziger Jahre und der Brandt‘schen Formel „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ entwickelten sich in den siebziger Jahren allenthalben Bürgerinitiativen, mal gegen Flughafenlärm, mal gegen Fahrpreiserhöhungen, aber immer nur als Ein-Punkt-Initiativen. Mit dem 1971 verabschiedeten Städtebauförderungsgesetz wurde dem gnadenlosen Abriss von Altbauquartieren entgegengewirkt, stattdessen gab es nun Sanierungsgebiete, für die erstmals auch ein gewisses Maß an Bürger:innenbeteiligung vorgeschrieben war. So entstanden Sanierungsbeiräte, der erste in Hamburg Ende 1979 in meinem Stadtteil St. Georg. Sie ermöglichten über die beteiligten Gruppen – Anwohner:innen, Gewerbetreibende, Mieter:innen, Grundeigentümer:innen usw. – erstmals eine regelmäßige Mitsprache bei allen das jeweilige Gebiet betreffenden Fragen.

Vom Sanierungsbeirat zum Stadtteilbeirat

Nehmen wir das Beispiel des Beirats im Hamburger Hauptbahnhofviertel St. Georg. Fast von Anfang an verstand er sich nicht nur als Sprachrohr für das engere Sanierungsgebiet »Lange Reihe S1«, sondern er nahm sich, sehr zum Ärger der Kommunalpolitik, heraus, vielerlei Anliegen des gesamten Stadtteils zu thematisieren. Als es Ende 1989 hieß, die Sanierung im Gebiet S1 liefe bald aus und auf einer Jubiläumsveranstaltung verkündet werden sollte, dass damit auch der Sanierungsbeirat seine Aufgaben erfüllt hätte, regte sich massiver Protest. Rund 300 St. Georger:innen rangen dem SPD-Vertreter die Zusage einer neuen Beteiligungsstruktur ab, wenn es denn schon keinen Sanierungsbeirat mehr geben würde. Das war damals die Geburtsstunde eines am Bezirk Hamburg-Mitte angedockten Stadtteilbeirats, zugleich aber auch des Gedankens, dass eine einmal institutionalisierte Bürger:innenbeteiligung nicht einfach deswegen endet, weil irgendein Programm ausläuft. Aufrechterhalten wurde die Finanzierung des Gremiums über viele weitere Jahre dadurch, dass St. Georg immer wieder in ein neues Förderprogramm rutschte. 2015 sollte damit allerdings endgültig Schluss sein, da der Stadtteil definitiv aus der letzten Förderung durch das „Rahmenprogramm integrierte Stadtteilentwicklung“ (RISE) herausfiel. 2014 wurde die Zahl der jährlichen Sitzungen von zehn auf fünf reduziert, ab 2015 sollte dann jegliche Unterstützung durch die Bezirksverwaltung ausbleiben, sowohl hinsichtlich der Finanzierung, Protokollführung und Moderation als auch überhaupt der Teilnahme von Vertreter:innen der Bezirksverwaltung. Die SPD Hamburg-Mitte prägte damals das Unwort von „selbsttragenden Strukturen“ des zukünftigen Beirats, also von selbst organisierten Sitzungen ohne finanzielle Unterstützung und ohne regelhafte Beteiligung von Bezirksamt und -politik. Der Widerstand gegen diesen erneuten Versuch der Auflösung des Gremiums war erfolgreich und führte in Hamburg dazu, dass inzwischen die meisten Beiräte auch nach Auslaufen der RISE-Förderung fortgeführt wurden. Dafür muss allerdings alljährlich ein Antrag gestellt und von der in den sieben Hamburger Bezirken regierenden Koalition angenommen werden, um entsprechende Mittel in der Höhe von einigen tausend bis 15.000 Euro pro Beirat aus dem Quartiersfonds zu generieren. Von einer planbaren, gar dauerhaften finanziellen Förderung und einer rechtlichen Absicherung war und ist das weit entfernt.

50 Gremien, die sich regelmäßig, meist im Ein- oder Zweimonatsrhythmus, treffen und an die 1.000 Stadtteilaktive zusammenführen. Es gibt nichts Vergleichbares in Hamburg, keine andere Beteiligungsform bringt über Jahre, teilweise über Jahrzehnte, so viele Menschen zusammen, wie eben die Beiräte.

Immerhin, es gibt sie also, diese Quartiers- und Stadtteilbeiräte, und das in rund 50 Gebieten, die irgendwann einmal in das eine oder andere Förderprogramm aufgenommen wurden oder noch darin stecken. 50 Gremien, die sich regelmäßig, meist im Ein- oder Zweimonatsrhythmus, treffen und an die 1.000 Stadtteilaktive zusammenführen. Es gibt nichts Vergleichbares in Hamburg, keine andere Beteiligungsform bringt über Jahre, teilweise über Jahrzehnte, so viele Menschen zusammen, wie eben die Beiräte. Das übersteigt in dieser Kontinuität jedes einzelne Beteiligungsverfahren zu einem bestimmten Anliegen. Bei den betreffenden Quartieren handelt es sich zu einem Gutteil um solche, die nicht gerade verwöhnt sind von der öffentlichen Wahrnehmung, die vielmehr mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert sind.

Zumeist ist es ein Stamm von Beiratsteilnehmenden, der als Team von Expert:innen des Quartiers zusammenkommt und oftmals die zentrale Säule der Stadtteildemokratie darstellt. Anlassbezogen kommen oft weitere Interessierte dazu, wenn irgendein konkretes Problem auftritt oder für eine bestimmte Forderung mobilisiert wird. Die Palette der behandelten Themen ist breit und vorrangig von den spezifischen Verhältnissen des Quartiers abhängig. Es gibt aber selbstverständlich auch übergreifende, viele Menschen und Viertel gleichermaßen berührende Entwicklungen, zum Beispiel wenn es um die Wohnungspolitik oder die Klimakatastrophe geht. Den Austausch darüber organisiert das 2009 gegründete »Netzwerk Hamburger Stadtteilbeiräte«. Etwa im sechswöchigen Turnus lädt ein Lenkungskreis zu einer informellen Zusammenkunft ein, um über aktuelle Themen der Stadt(teile) und die Situation der Beiräte zu diskutieren. Rund die Hälfte der hamburgischen Beiratsgremien sind hier eingebunden. Richtungsweisend war eine Tagung des Netzwerks Ende April 2013 mit weit über 100 Teilnehmer:innen. Der Titel des Aktionstages machte klar, welchen Stellenwert sich die Stadtteilrecken selber zumessen: „Nur mit uns!“.

St. Georg tickt anders

Noch einmal zurück zum Stadtteilbeirat St. Georg, der sich in den vergangenen Jahren zu einem zumindest vom Selbstverständnis her autonomen Gremium gemausert hatte. Selbstbewusst stellte er auf jeder der verknappten Sitzungen Anträge, forderte Maßnahmen gegen die Verdrängung der Wohnungs- und „kleinen“ Gewerbemieter:innen ein, protestierte gegen überbordende Hotels, Eigentumswohnungen und die Vertreibung der Obdachlosen, hatte aber ebenso die „kleineren“ Themen parat, wie zum Beispiel die Einbenennung eines Weges nach Inge Stolten (als einer von drei Frauennamen gegenüber 31 Ortsbezeichnungen mit männlichem Namen) oder die Wiederinbetriebnahme einer Solaruhr auf einem Platz an der Langen Reihe. Genau das war jahrzehntelang das Salz in der Suppe: Stadtteilmeinung zu fokussieren, organisierte Beteiligungsstrukturen zu nutzen, in die auch Verwaltung und Politik einbezogen sind und die regelmäßig stadtteilbezogene Informationen liefern, Rede und Antwort einfordern und Anträge formulieren, auf die die Bezirkspolitik reagieren muss. Und genau das wurde für die etablierte Bezirkspolitik und -verwaltung in den vergangenen Jahren zu einer nervenden Herausforderung, weil der Beirat dem Bezirk mit seinen Beschlüssen Arbeit machte und die Bezirksgranden aus SPD, CDU und FDP unter Druck setzte. Nun muss mensch wissen, dass das Szeneviertel St. Georg anders tickt als der Bezirk Mitte, in dem es liegt: Bei den letzten Wahlen zu den sieben Bezirksversammlungen im Mai 2019 kamen in St. Georg die GRÜNEN auf 39,6 % und die LINKE auf 16,1 %, also auf weit mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen. Im Bezirk Mitte erhielt die SPD gerade mal 20,9 %, die CDU 11,6 % und die FDP 6,5 % – und erst durch den Übertritt von sechs grünen Mandatsträger:innen zur SPD konnte diese überhaupt erst eine Bezirkskoalition auf die Beine stellen. Hier gibt es also ein deutliches Gefälle. Seine vordemokratische Haltung zu diesem Gefälle brachte der Bürgerschaftsabgeordnete und örtliche Bürgervereinsvorsitzende Markus Schreiber (SPD) auf den Punkt, als er im Juli 2022 meinte, der Beirat solle gefälligst die Mehrheit in der Bezirksversammlung akzeptieren und diese mit seinen Forderungen nicht immer wieder infrage stellen (▷ Zeitung des Bürgervereins zum Thema Stadtteilbeirat). Merke: Partizipation in einem Stadtteil hat sich nach diesem Verständnis an den Mehrheitsbeschlüssen auf Bezirksebene zu orientieren – und mehr nicht.

Das ist sicherlich der Kernpunkt, der die »Deutschlandkoalition« am 31. Januar 2023 dazu bewogen hat, den Stadtteilbeirat St. Georg de facto aufzulösen und bis zu seiner „Neuausrichtung“ alle bereits vereinbarten fünf Sitzungstermine zu canceln. Seitdem gibt es eine Hängepartie, aber es schält sich heraus, dass das kommende Gremium anders sein wird: Mit nochmals halbierter Sitzungfrequenz, geringerer Beteiligung, der Verdrängung aktiver Bewohner:innen und der Reduzierung auf einen Antrag pro Veranstaltung.

Insofern stelle ich die Frage nach einer autonomen, selbstbewussten Interessenvertretung auf Stadtteilebene im Rahmen eines städtisch-parlamentarisch geprägten und von konservativen Kräften dominierten „Modell“ Stadtteilbeiräte neu. Zumindest für St. Georg. Und das nach Jahrzehnten erfolgreichen Wirkens wenigstens in der Hinsicht, ausdiskutierte und beschlossene „Stadtteilmeinung“ in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Regelmäßig.

Presseerklärung vom 19.10.2023 | Bezirksamt hält an Politik gegen St. Georg fest

„In Sorge um die weitere Entwicklung in St. Georg“. So lautete die Überschrift einer Presseerklärung, die der Einwohnerverein vor genau zwei Wochen abgegeben hat. Darin warnten wir vor der Verlagerung der Spenden- und Lebensmittelausgabe vom „Gabenzaun“ am Hachmannplatz ins Wohngebiet am Hansaplatz. Doch der Bezirk Hamburg-Mitte, allen voran offenbar sein Leiter Ralf Neubauer, hat alle Warnungen in den Wind geschlagen.

Mittlerweile hat die erste Ausgabe am 14.10. stattgefunden, mit nur 80 „von den bei uns üblichen 300-400 Gästen“ (Schau nicht weg e.V.). Nicht nur, dass die Eingänge von Geschichtswerkstatt und Seniorenbegegnungsstätte zugestellt wurden und damit kein Betrieb mehr stattfinden konnte, vor allem war die Szeneansammlung laut Anwohner*innen auch nach dem Abbau der Stände deutlich stärker als hier eh schon üblich. Für kommenden Samstag ist die nächste Aktion geplant, sicherlich mit noch größerer Resonanz.

Wir stellen fest, dass die Verlagerung der Spendenabgabe an den Hansaplatz gegen den ausdrücklichen Protest des Einwohnervereins sowie der betroffenen Einrichtungen Geschichtswerkstatt und Lange Aktiv Bleiben (LAB) durchgesetzt wurde. Eine Beteiligung dieser Einrichtungen, überhaupt eine Vorab-Diskussion über die Verlagerung hat es nicht gegeben, die vorhandene Expertise und jahrzehntelange Erfahrungen hinsichtlich des sensiblen Nebeneinanders von Anwohner*innen, sozialen Einrichtungen und ihren Klient*innen wurden völlig ignoriert, der kritische Stadtteilbeirat St. Georg durfte eh seit einem Jahr nicht mehr tagen.

Selbst der Verein „Schau nicht weg“ hält den Ort für unglücklich, er musste den Standort aber akzeptieren, um überhaupt noch eine Möglichkeit zu haben, seine Gäste zu versorgen. Im Klartext: Das Bezirksamt lässt die Verteilstellen am Hachmannplatz verbieten, um einen clean gemachten Visitenkarten-Hauptbahnhof präsentieren zu können, und verschiebt die betreffenden Stände mitten ins Wohngebiet, genauer: auf den Hansaplatz, der schon lange als „Brennpunkt“ bezeichnet wird und mit allerlei Verdrängungsmaßnahmen von der Stadt überzogen wurde. Das ist nichts anderes als eine Visitenkarten-Politik auf Kosten des Stadtteils!

Es gibt seit den sozial- und drogenpolitisch brisanten 1990er Jahren ein ungeschriebenes Agreement, auf das sich die Stadtteilgruppen, allen voran der Einwohnerverein, die Einrichtungen und die Stadt verständigt hatten: Die Versorgung benachteiligter Menschen und Gruppen im Hauptbahnhofviertel ist sicherzustellen und wird von allen Seiten selbstverständlich begrüßt; die dafür nötigen Einrichtungen werden nahe am Hauptbahnhof oder an der Peripherie des Stadtteils, keinesfalls jedoch im Wohnquartier angesiedelt. Mit dem Vorgehen haben der Bezirk Hamburg-Mitte und sein Leiter dieses jahrzehntelang mehr oder weniger gültige Agreement aufgekündigt und damit dem sozialen Frieden im Stadtteil erheblich geschadet.

Michael Joho, Vorsitzender des Einwohnervereins

Presseerklärung vom 5.10.2023 | In Sorge um die weitere Entwicklung in St. Georg

Per Adresse Stadtteilbüro St. Georg, Hansaplatz 9, 20099 Hamburg

www.ev-stgeorg.de   –   info@ev-stgeorg.de   –   Mobil 0160/91 48 10 27

  1. Seit seiner Gründung 1987 engagiert sich der alternative Einwohnerverein im Hamburger Hauptbahnhofviertel für das Mit- und Nebeneinander von Anwohner*innen, Gewerbetreibenden, hier arbeitenden und sich aufhaltenden Menschen, darunter vielen, die in Armut leben und gesellschaftlich ausgegrenzt sind.
  2. Ebenso lange erleben wir ein oftmals und über weite Strecken fragwürdiges bis kontraproduktives Umgehen des Bezirksamtes und des Senats mit diesem Stadtteil und seinen Menschen. Da war und ist der vor allem repressive Umgang mit benachteiligten Gruppen – den Drogenkonsument*innen in den neunziger Jahren und den auf der Straße Lebenden heutzutage. Da sind die kurzsichtigen, oft hilflos wirkenden Maßnahmen, um den Eindruck von Aktivität zu erwecken – nehmen wir die Kontaktverbotsverordnung oder die KI-gestützte Videoüberwachung. Da sind die übers Knie gebrochenen und über die Menschen und den Stadtteil hinweggehenden Maßnahmen; dafür seien als aktuelle Beispiele die faktische Auflösung des ältesten, allzu kritischen Stadtteilbeirats St. Georg im Januar 2023 und die jüngste Entscheidung, eine der stark frequentierten Lebensmittel-Ausgabestellen vorrangig für Obdachlose vom Hauptbahnhof an den Hansaplatz zu verlagern, angeführt.
  3. Es ist ein Affront sondergleichen, den Menschen in St. Georg, vor allem den BewohnerInnen am Hansaplatz, per Medienmeldung am 30. September mitteilen zu lassen, dass der Verein „Schau nicht weg“ seine wöchentliche Verteilaktion voraussichtlich schon ab dem 7. Oktober auf dem Hansaplatz aufnimmt. Ernstnehmen und Beteiligung sehen anders aus.
  4. Es ist vor allem ein Fauxpas, weil der Bezirk sich mit seiner polizeilichen Räumaktion der Lebensmittel-Verteilung am „Gabenzaun“ am Rande des Hachmannplatzes selbst unter Zugzwang gesetzt hat, auf die Schnelle neue Standorte für die ehrenamtlichen Helfer*innen zu benennen. Doch warum kriegt St. Georg ab, was der Bezirk(samtsleiter) verbockt hat?
  5. Der größte Fehler ist aber, als neuen Standort nun ausgerechnet den Hansaplatz – genauer, die Fläche vor dem Wohnkomplex der Baugenossenschaft freier Gewerkschafter bzw. direkt vor der Seniorenbegegnungsstätte des Vereins „Lange Aktiv Bleiben“ – auserkoren zu haben. Ohne deren Beteiligung, ohne Diskussion im Stadtteil, ohne auch nur einen Schritt zur Führung des nötigen Dialogs unternommen zu haben. Was haben Bezirk und Senat in den vergangenen Jahren nicht alles getan, den Hansaplatz runterzumachen und runterzuschreiben – übrigens gegen unseren ebenso regelmäßigen Protest und das Beharren auf eine differenzierte Betrachtung der Problemlage.
  6. Der eigentliche Skandal ist aber, dass der Bezirk mit seiner dekretierten Maßnahme von einem in den neunziger Jahren – der Hochzeit der drogenpolitischen Auseinandersetzungen – getroffenen Agreement abweicht: Nämlich alle sozialen Einrichtungen und Angebote mit erheblicher Außen-Ansammlung am Hauptbahnhofgelände oder am Stadtteilrand, jedenfalls nicht mitten im Wohngebiet anzusiedeln. Dies entsprach der Erkenntnis, dass ein so belasteter Stadtteil wie St. Georg in der Übernahme sozialer Verpflichtungen nicht überstrapaziert werden darf, um einerseits die Versorgung benachteiligter Menschen dauerhaft zu garantieren (und dafür auch die Verantwortung zu übernehmen), aber gleichzeitig die Akzeptanz und Toleranz der Wohnbevölkerung nicht aufs Spiel zu setzen. Denn dies wäre die schlimmste Entwicklung für alle Betroffenen: die Szene selbst, die sich zunehmender Aggressivität und Ablehnung ausgesetzt wird; die Bewohner*innen, die ihr soziales, mitfühlendes Herz versteinern sehen; eine politische Gemengelage, die nur den rechtesten Menschenfeinden nutzt.
  7. Wir bleiben dabei, und dies ist das Credo des Einwohnervereins seit seiner Gründung, die St. Georger*innen haben mit Phänomenen des Hauptbahnhofs zu leben – und wir tun dies auch seit vielen Jahrzehnten. Andererseits hat sich der Hauptbahnhof seiner sozialen Herausforderung und Verpflichtung zu stellen. Er ist nicht nur der Ein- oder Umsteigeort für Reisende, er ist auch ein Lebensmittelpunkt, ein zentrales Wohnzimmer für eine große Zahl ausgegrenzter, benachteiligter und vereinsamter Menschen. Das mag alles nicht schön (anzusehen) sein, aber es ist die Realität einer kapitalistischen Großstadt im 21. Jahrhundert. Stellt euch dem endlich, brecht mit dem Unwort der blütenweißen „Visitenkarte Hauptbahnhof“ – und verschiebt die Probleme nicht in die Wohnquartiere!
  8. Vor diesem Hintergrund erklären wir: Wir brauchen nicht noch mehr Konflikte, schon gar nicht am Hansaplatz, wir brauchen am Hauptbahnhof und an geeigneten unbewohnten Orten in der Nähe vielmehr vernünftige Angebote für die betroffenen Gruppen: für Obdachlose (viel mehr Housing First), für DrogenkonsumentInnen (ein zweites Drob Inn), für junge Geflüchtete (eine schnelle Arbeitserlaubnis, einen niedrigschwelligen Anlaufpunkt usw.).
  9. Zehntausende Euro sind in den letzten Jahren für allerlei Gutachten zu St. Georg ver-(sch)wendet worden, ohne sichtbare Verbesserungen zu bewirken. Stattdessen wird die in St. Georg umfassend vorhandene Stadtteilexpertise ignoriert oder – wie im Falle des Beirats – gleich in Gänze ausgeschaltet. Der einfache Austausch, der Dialog mit den Menschen des Stadtteils, seinen Gruppen und Gremien hätte auch für alternative Standortideen gesorgt. Wie wäre es, die Lebensmittel-Verteilaktion wenn schon nicht am Hauptbahnhof, so doch zumindest an anderer, geeigneter Stelle anzusiedeln und darüber mit allen zu sprechen? Wir schlagen beispielsweise die Kehre am Ferdinandstor, am unteren Ende des Inge-Stolten-Weges vor. Dort gibt es keine Wohnhäuser, keine Kinder- und Jugendeinrichtung, es ist viel Platz vorhanden und der Ort ist nur wenige Minuten vom Bieberhaus entfernt.
  10. Der völlig unsensiblen, unklugen und letztlich nach hinten losgehenden Entscheidung des Bezirks, den Hauptbahnhof in einem Teil aus seiner sozialen Verpflichtung zu entlassen und zugleich das Viertel St. Georg einmal mehr für die unzureichende und damit verfehlte Sozialpolitik heranzuziehen, muss nachhaltig widersprochen werden.