Zur sozialen Lage im Stadtteil, zu den ordnungs- und sozialpolitischen Maßnahmen am Hauptbahnhof und ihren Auswirkungen auf St. Georg
In den vergangenen zwei, drei Jahren hat sich die soziale Lage in unserem Stadtteil – vor allem das Bild auf den Straßen, Plätzen und Höfen – stark verändert. Drogenkonsum und -handel, vermehrter Alkoholkonsum und aggressives Verhalten, vor allem eine starke Zunahme der Menschen ohne Obdach und ihre Verelendung sorgen in Teilen St. Georgs für immer angespanntere Verhältnisse. Wir sehen diese Erscheinungen vor allem als Ergebnis zunehmender sozialer Verwerfungen, verursacht durch Armut und Entwurzelung, Inflation und fehlenden bezahlbaren Wohnraum. In St. Georg nehmen wir die Entwicklungen aber auch wahr als unmittelbare Auswirkungen der City- und vor allem der Hauptbahnhofpolitik des Senats und des Bezirksamtes Hamburg-Mitte. Mit den „Quatrostreifen“, vielen neuen Überwachungskameras, dem Waffen-, Bettel- und Alkoholverbot soll der Hauptbahnhof wie schon in den 1990er Jahren clean gemacht werden, mit genau den selben absehbaren Auswirkungen auf das benachbarte St. Georg wie damals. Verdrängung ist aber keine Lösung, sondern geht zu Lasten der betroffenen Gruppen wie auch der Menschen in St. Georg.
Der Erwerb des leerstehenden 6.500-Quadratmeter-Bürogebäudes in der Repsoldstraße 27 nahe dem „Drob Inn“ ermöglicht der Stadt, den ordnungspolitischen nun auch sozial- und gesundheitspolitische Maßnahmen folgen zu lassen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Dimension des Gebäudes beinhaltet aber erhebliche Gefahren. Um die riesige Fläche sinnvoll zu füllen, stellte Staatsrat Angerer (Sozialbehörde) im Stadtteilbeirat St. Georg Ende Juli eine Fülle möglicher Nutzungen in Aussicht, die uns in dieser Konzentration und gleich neben dem Drob Inn sozial z.T. nicht kompatibel erscheinen. Zwar sind zusätzliche Notschlafplätze (Tag und Nacht) in Ergänzung bzw. Erweiterung des Angebots vom „NOX“ (Projekt der Jugendhilfe neben/über dem Drob Inn) dringend erforderlich und sollen wohl auch vorrangig eingerichtet werden. Das halten wir für sehr sinnvoll. Im gleichen Haus aber möglicherweise „Lebensplätze für Frauen“, eine EU-Arbeitnehmerpension oder gar einen Trinkraum für Alkoholkonsumierende neben den Drogenhilfe-einrichtungen unterzubringen, führt unweigerlich zu Konflikten und widerspricht allen fachlichen Erfahrungen. Und wenn dieses große Haus mit vielen unterschiedlichen Einrichtungen gefüllt wird, bestünde die Gefahr, dass immer mehr an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Gruppen nach St. Georg gezogen werden. Das steht dem Gedanken der Dezentralisierung von Hilfsangeboten deutlich entgegen, zumal die weitere Gefahr in der Folge besteht, dass Einrichtungen in entfernter gelegenen Stadtteilen aus Kostengründen und weil das Personal gar nicht anders zu rekrutieren ist, geschlossen werden. Wir halten eine so massive Konzentration unterschiedlicher Hilfsangebote einerseits für sozialpolitisch riskant und sehen auch Gefahren für die Wohnstandorte St. Georg und Münzviertel.
Deshalb schlagen wir vor, das Gebäude zu großen Teilen zu nutzen, um das Übel an einer Wurzel zu packen: Die vielen aus der Gesellschaft gefallenen Menschen haben die unterschiedlichsten biografischen Einschläge und Abstürze durchlebt und brauchen entsprechend unterschiedlichste Beratung, Unterstützung, Betreuung und Versorgung. Aber alle brauchen in gleicher Weise, um wieder auf die Füße zu kommen, eine Wohnung.
Warum also nicht das Gebäude nutzen für ein größeres Housing-First-Projekt?! Es sollte unserer Ansicht nach ernsthaft geprüft werden, wie es möglich ist, dass ein großer Teil dieses Bürokomplexes in abgeschlossene Kleinwohnungen für obdachlose Menschen umgebaut werden kann.
Unsere Positionen und Forderungen:
- Der Senat soll Abstand nehmen von seiner dominierenden Verdrängungsstrategie am Hauptbahnhof. Nichts spricht z.B. gegen die Ausgabe von Lebensmitteln am „Gabenzaun“ auf dem Hachmannplatz, die jahrelang im Interesse der Betroffenen geklappt hat.
- Die Privatisierung von Flächen auf dem Hachmannplatz, die verstärkte Bestreifung, das Bettel- und das Alkoholverbot auf dem Hauptbahnhof hat für die Betroffenen lediglich zur Folge, dass sie ihren Bedürfnissen an anderer Stelle nachgehen und in die Wohnstraßen, Hinterhöfe und (Spiel-) Plätze St. Georgs umziehen. Das Bettel- und das Alkoholverbot auf dem Hauptbahnhof sind aus unserer Sicht absolut kontraproduktiv.
- Mit dem Kauf einer Riesenimmobilie an der Repsoldstraße für geschätzte 10 bis 12 Mio. Euro hat sich der Senat selbst unter Druck gesetzt, das Haus irgendwie vollzukriegen und hier alles zu konzentrieren, was an nötigen neuen Einrichtungen geschaffen oder womöglich von anderswo hierher verlagert werden soll. Dies widerspricht komplett dem über einen langen Zeitraum in den 1990er Jahren erarbeiteten und ausgehandelten Konzept der Dezentralisierung, einem Kompromiss, in dem St. Georg als Hauptbahnhofviertel seiner sozialen Verantwortung gerecht wird, aber vonseiten des Senats zugleich auch dafür Sorge getragen wird, flächendeckende, also dezentrale Einrichtungen und Angebote für hilfsbedürftige Menschen außerhalb des Stadtteils und somit in ganz Hamburg zu schaffen.
- Statt einer Mega-Einrichtung mit einer stark erweiterten Angebotspalette und der Ansprache einer etwaig erweiterten Klientel plädieren wir dafür, endlich einen spürbaren Schritt zur Verringerung der Obdachlosigkeit zu unternehmen, zu der sich auch der Senat bis zum Jahre 2030 verpflichtet hat. Wir schlagen vor, dass nach entsprechender Prüfung und sicher nötigem Umbau mindestens die Hälfte der Fläche zu kleinen Wohneinheiten umgestaltet wird, um diese Menschen in eine stabilisierende Situation zu bringen und damit für sie eine dauerhafte Perspektive zu schaffen – jenseits des Elends auf den Straßen. Notwendig ist zudem eine Begleitung dieser Menschen in einer solchen neuen Lebensphase.
- Wir bekräftigen die Forderung nach angemessener Beteiligung der Menschen und Vereine aus St. Georg und dem Münzviertel – auf Augenhöhe! – an der weiteren Nutzungsplanung für das Gebäude an der Repsoldstraße.